NAT:24 - Praxis, Lehre, Engagement: Aftermovie jetzt online
Das große Atrium im Gebäude 6 der Düsseldorfer Peter Behrens School of Arts (PBSA) war vermutlich selten so gut gefüllt. Rund 300 Studierende der vier Architekturstudiengänge, Berufseinsteiger*innen von Schleswig-Holstein bis Bayern, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Kammern, Akteure von Nachwuchs-Initiativen und last not least Angehörige der Lehre waren zur Eröffnung des zweiten Nachwuchsarchitekt:innentages nach Düsseldorf gekommen. Eingeladen hatte die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Bundesarchitektenammer, der Nachwuchsorganisation nexture+ sowie der Peter Behrens School of Arts als Hausherr. Jetzt ist der Aftermovie auf dem AKNW-YouTube-Kanal abrufbar.
Eineinhalb Tage lang wurde informiert und diskutiert, wurden Sorgen und Wünsche vorgetragen, Positionen zur Rolle der Architektur in der Gesellschaft verlautbart und nicht zuletzt – angefangen vom gemeinsamen Frühstück am Freitagmorgen bis zum Rundgang durch den Düsseldorfer Medienhafen am Samstag, die Gelegenheit wahrgenommen, Kontakte zu knüpfen: Der zweite NAT präsentierte sich als quicklebendiges Forum, das bestätigte, wie wichtig ein offener Austausch unter unterschiedlichen Stakeholdern ist.
Dass für die Kammern die Förderung des Nachwuchses ein zentrales Anliegen ist, betonte in seiner Begrüßung Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Uhing rief in Erinnerung, dass die AKNW in NRW vor zwei Jahren Junior-Mitgliedschaften eingeführt habe, deren Vorteile nicht nur in regelmäßigen Fachinformationen und in Weiterbildungsangeboten lägen, sondern auch in einer frühen Zugehörigkeit zum Versorgungswerk. Gerade in den oft schwierigen zwei Jahren nach dem Studienabschluss stelle dies eine konkrete Unterstützung für den Nachwuchs dar. 1300 dieser Junior-Mitgliedschaften gibt es in NRW bereits. Ein anderes Element der frühen Ansprache des Nachwuchses sei die Kampagne „JA*/Junge Planer*in“, die vielfältige Angebote für die junge Zielgruppe mache.
Darüber hinaus ist der Austausch auf Augenhöhe der Kern dessen, worum es beim Nachwuchstag geht. Man wolle erfahren, wo dem Nachwuchs der Schuh drückt und wo darüber hinaus Chancen der Erneuerung liegen. Die Vizepräsidentin der Bundesarchitektenkammer, Evelin Lux, sprach im Eröffnungstalk den Nachwuchs unmittelbar an: „Wir brauchen Euch nicht nur als zahlende Mitglieder, sondern als Erneuerer und Ideengeber.“
Zweifel am Traumberuf?
Dass vor allem in der beruflichen Praxis für Einsteiger*innen nicht immer alles eitel Sonnenschein ist, darauf wies in seinem Impulsvortrag Clemens Jopp von der Nachwuchsorganisation nexture+ hin, dem 2021 gegründeten Verein zur Vertretung der Interessen des Architekturnachwuchses. Jopp stellte eine aktuelle (2023) Umfrage unter Studierenden, Berufsanfängern und Praktikant*innen vor, nach der 52 Prozent mit ihrem Einstiegsgehalt unzufrieden sind. 76 Prozent der Befragten können sich vorstellen, den Arbeitsplatz zu wechseln; und – besonders alarmierend – 63 Prozent haben das Gefühl, in ihren derzeitigen Unternehmen keine guten Aufstiegschancen zu haben. Angesichts dieser Zahlen mag es eine Idee sein, auf einem kommenden Nachwuchstag auch die Chefs größerer Architekturbüros einzuladen, um mit ihnen über Fragen des Büroalltags, vom Gehalt über Home-Office bis zu Aufstiegsperspektiven zu diskutieren.
14 Workshop-Themen
Insgesamt 14 Themen, die den Nachwuchs in Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung heute beschäftigen, sowohl in der Lehre wie in der Praxis, wurden intensiver verhandelt. Diskutiert wurden sie in zwei Runden von jeweils sieben offenen Workshops, die von Kurzvorträgen von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Provenienz eingeleitet und moderiert wurden:
Wie lässt sich ein höheres Maß an Austausch der vier Studiengänge innerhalb des Studiums organisieren – Stichwort Interdisziplinarität? Wie steht es um die Rolle von Digitalisierung und KI im Studium? Welche Angelegenheiten sind im Hinblick auf Existenzgründungen zu beachten? Wie sieht es mit der Chancengerechtigkeit und dem Gender-Pay-Gap aus? Welche Rolle spielt die mentale Gesundheit im Studium und der Büroarbeit? Welche Formen der Mitarbeit in den Kammern gibt es, um berufspolitische Anliegen durchzusetzen? Vor allem aber: Wie lässt sich vor dem Hintergrund des Klimawandels eine Bauwende in Lehre und Praxis stärken?
Beispiel: Interdisziplinarität
Wie komplex und vielschichtig die einzelnen Themen sein können, belegt als Beispiel ein Blick auf das der Interdisziplinarität, das wie manch anderes Thema letztlich die Frage des Berufsbildes zwischen Generalist und Spezialist aufruft: Die Aspekte, die hier eine Rolle spielen können, reichen von der räumlichen Trennung der Fachrichtungen (in München sitzen die Landschaftsarchitekten 25 km von den anderen Fachrichtungen entfernt), über die grundsätzliche gegenseitige Akzeptanz der Fachrichtungen (die wahrgenommene „Arroganz der Architekt*innen“ gegenüber den anderen Richtungen), bis zu den Anforderungen, die mit fachübergreifenden, mehrsemestrigen Projekten nicht zuletzt für die Lehrenden verbunden sind. Auch der Modulcharakter des Studiums, so wurde kritisch notiert, habe die Interdisziplinarität nicht vereinfacht. Hilfreich sei, so eine weiterreichende Forderung, eine interdisziplinäre Biografie auch in der Frage der Kammerzugehörigkeit stärker zu berücksichtigen.
Wie Interdisziplinarität beruflich erfolgreich umgesetzt werden kann, beweisen Annegret und Daniel Stöcker-Fischer, die 2009 gemeinsam mit Kolleg*innen das Büro Querfeldein in Dresden gegründet hatten. Schon während des Studiums hatte man sich kennengelernt, und dann im Team bewusst die fachübergreifende Zusammenarbeit von Architektur, Landschaftsarchitektur und Raumplanung zur Grundlage des Leistungsangebots des Büros gemacht. In einer solchen interdisziplinären Ausrichtung, so berichtete Daniel Stöcker-Fischer, sei man besonders attraktiv für Gemeinden mit geringer Planungserfahrung. Paritätisch und transparent zu agieren, seien wichtige Aspekte einer gelebten Interdisziplinarität im Büro. Oder, wie Annegret Stöcker es formulierte: „Es geht darum, bei allen Beteiligten gemeinsame Bilder zu erzeugen.“
Ziel: Bauwende
Vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der Erderwärmung und dem hohen Anteil an CO2-Emissionen durch die Baubranche nahm das für viele aktuell politische Thema Nr. 1 – klimagerechtes Planen und Bauen – breiten Raum auf der Tagung ein. Erstmals stellte sich das neu ins Leben gerufene Hochschulnetzwerk „Gemeinsam für die Bauwende“ vor, das im Sommer dieses Jahres von Hochschullehrenden gegründet worden war und im Rahmen einer bundesweiten Vortragsreihe den „10 Forderungen“ der Gruppe „Architects for Future (A4F)“ Aufmerksamkeit und Profil verliehen hatte. Aspekte wie Materialwahl, Kreislaufwirtschaft, CO2-Bepreisung, aber auch Bedarfsprüfung und ein wertschätzender Umgang mit dem Gebäudebestand (Stichwort „Goldene Energie“) – all das sind Fragestellungen, die auf der Agenda stehen. Mehrere Workshops widmeten sich in Form von Best-Practice-Beispielen dem Thema. Kernaussagen wurden im Plenum abschließend in einer einstimmigen „NAT:24-Erklärung“ als gemeinsame Forderung für ein stärkeres ressourcenschonendes und kreislaufwirtschaftliches Planen verabschiedet.
Politische Forderungen, zumal in Zeiten, da klimapolitische Maßnahmen bereits vielfach wieder in Frage gestellt werden, sind und bleiben wichtig. Die andere Seite ist ein fundiertes Wissen über das ganze Spektrum. Darüber aber wird zunächst auch innerhalb des Studiums entschieden. Schon heute, so die Dekanin der PBSA, Prof. Judith Reitz, sehe die Hochschule in Düsseldorf keine Neuprofessur im Architekturbereich ohne den Aspekt der Nachhaltigkeit vor. Aber, so Reitz: „Es bleibt die große Herausforderung, die Bauwende und das Thema Nachhaltigkeit schon als Pflichtfach in die Curricula hineinzubekommen.“ Dies entsprach einer der Forderungen, die im Plenum abschließend von den Teilnehmer*innen explizit an die Lehre gerichtet wurden. Fazit: Wenn der Dreiklang von Lehre, Praxis und berufspolitischem Engagement gelingen soll, sind Veranstaltungen wie der NAT notwendiger denn je.
Weitere Informationen:
NAT:24 - Aftermovie
Impressionen vom NAT:24
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