Applaus für mutige Visionen und Ideen

Bühne frei für den Nachwuchs! Die Architektenkammer NRW startete am 12. Mai ihren ersten „UrbanSlam“. „Das ist der Auftakt einer aufregenden, neuen Reihe, mit dem wir junge Leute für Fragen der Architektur, der Stadt- und Freiraumentwicklung begeistern wollen“, gab Ernst Uhing, der Präsident der Architektenkammer, das Ziel vor. 200 Gäste und fünf hochengagierte junge Slammer sorgten im Ludwig Forum Aachen dafür, dass dieser Anspruch mehr als eingelöst wurde.

13. Mai 2015von Christof Rose

"Die Zukunft der Stadt" war das Leitthema, an dem sich die jungen Architekten und Stadtplaner bzw. Nachwuchs-Architektinnen und -architekten mit ihren Beiträgen orientieren sollten. Unter den vielfältigen Bewerbungen um eine Teilnahme als Vortragender auf der Bühne wählte die Architektenkammer im Vorfeld der Veranstaltung fünf junge Frauen und Männer aus, die jeweils maximal zehn Minuten Zeit hatten, dem Publikum ihre These, Forschungsarbeit oder ihr Planungskonzept nahe zu bringen. Eine Aufgabe, die alle fünf mit Bravour meisterten. „Hier gibt es heute eigentlich nur Sieger“, resümierte Patrycja Muc, Journalistin aus Bonn und Moderatorin des UrbanSlam, am Ende eines ebenso unterhaltsamen wie inhaltlich anregenden Abends. Denn die fünf Slammer überzeugten mit ihren ganz unterschiedlichen Themen:

Stadt ohne Arbeit

Über die „Stadt ohne Arbeit“ sprach Jan Kampshoff, Partner des Architekturbüros Modulorbeat aus Münster. Er hatte im Rahmen eines Kunstprojektes mit seinem Büro verlassene industrielle Altflächen in Bochum erforscht und Ideen entwickelt, wie besondere Nutzungen auf die städtebaulichen Potenziale die „Flächen ohne Arbeit“ aufmerksam machen könnten. Populär wurde insbesondere seine „One-Man-Sauna“, ein turmartiger Hochbau, in dem eine Person inmitten eines Industriewäldchens in Bochum entspannen und saunieren konnte. „Ein kleines Projekt, das eine große Geschichte erzählen kann“, meinte Kampshoff - und konnte das Publikum davon mehr als überzeugen.

Lücken als Chance

Um das Füllen städtebaulicher Lücken ging es auch Anne Eaton aus Köln. Die begeisterte Skaterin berichtete über Erfahrungen, die sie nach dem Erdbeben in Christchurch in Neuseeland 2011 gemacht hatte. „Selbst so eine Katastrophe birgt Chancen und Potenziale für einen Neuanfang“, resümierte Anne Eaton, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Städtebaulehrstuhl der RWTH Aachen das Umnutzen von Brachen und Leerstellen in der Stadt auch in einem Projekt in Blankenheim in der Eifel erprobte.

„Re-Think“ Muscat

Für ein „Neu-Denken der Stadt“ unter Berücksichtigung gewachsener Strukturen und lokaler Traditionen warb auch Andreas Klozoris. Er richtete den Blick auf Forschungsarbeiten, die er in Istanbul, Muscat (Oman) und in Indien hatte durchführen können. „Der öffentliche Raum gehört uns allen“, so sein Postulat. Gerade in Zeiten virtueller Welten sei es wichtig, Räume der Begegnung zu schaffen. „Wir müssen das Alte schätzen, um Neues schaffen zu können“, unterstrich der angehende Stadtplaner - und landete mit seiner Präsentation auf dem zweiten Platz des UrbanSlam.

Stadt ohne Auto

„Wie sieht die Stadt aus, wenn der Individualverkehr mit dem Auto verschwindet?“ Unter dieser Leitfrage präsentierte Eva Kampfmann, frischgebackene Absolventin der RWTH Aachen, eine Zusammenfassung ihrer Masterarbeit. Am Beispiel des Parkhauses am Carlsplatz in Düsseldorf zeigte sie auf, wie die Umnutzung von Infrastrukturbauwerken des Automobilzeitalters aussehen könnte, wenn andere Formen der Nahmobilität sich durchsetzen. „Das Parkhaus wird zum Stadtregal, in das Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholen und Kommunizieren eingezogen werden kann“, so die These. Vieles davon könnte nach Überzeugung Eva Kampfmanns auch heute schon realisiert werden, wenn in dichten Wachstumsstädten wie Köln, Düsseldorf oder Aachen Autos zunehmend am Stadtrand geparkt würden.

Schichten und Häutungen

Über die „Schichten der Stadt“ machte sich die Kölner Architektin Aysin Ipekci in ihrem Slam Gedanken. Ausgehend vom menschlichen Körper (Knochen-Organe-Haut) über die Kleidung bis hin zum Gebäude und Stadtraum würden Schichten unser Leben bestimmen, die Aysin Ipekci in ihrer Arbeit in verschiedenen Konstellationen analysiert und zusammen setzt. So könne beispielsweise ein großes Bauwerk wie eine Hochschule, die sie für einen Wettbewerbsbeitrag in Jerusalem entwarf, anatomisch verstanden werden, mit Funktionseinheiten, die wie Organe miteinander kommunizieren müssen, Erschließungs- und Verkehrsflächen, die Nervenbahnen oder Adern glichen, und einer Fassade, die wie eine Haut atmen und mit der Außenwelt interagieren könnte.

Vision und Wirklichkeit

In einem Einführungsvortrag hatte zunächst Prof. Rolf-Egon Westerheide vom Lehrstuhl für Architektur und Städtebau an der RWTH Aachen einen Parforceritt durch zentrale Fragestellungen des Städtebaus und der Stadtentwicklung unternommen. „Vieles von dem, was Kolleginnen und Kollegen vor 50 Jahren vorhergesagt hatten, ist auch eingetroffen“, konstatierte Westerheide: Städte mit einem Durchmesser von mehr als 100 Kilometern, Züge, die schneller als 400 km/h fahren können, Hochhäuser, mit über 500 Meter in den Himmel ragen. Es stelle sich also die Frage, welche Prognosen wir heute treffen könnten – und wie die Stadtplanung darauf reagieren solle. „Bis 2050 werden uns auf jeden Fall die Themen Verstädterung, Klimawandel, Globalisierung, Durchdringung des Alltags durch Informationstechnologien sowie leider auch Kriege um Ressourcen und Migration beschäftigen“, meinte der Stadtforscher. Wichtig sei es, dass junge Leute sich offensiv und mutig solcher Fragen annähmen – und dass öffentlich darüber diskutiert werde. „Deshalb ist der UrbanSlam nicht nur ein sehr kurzweiliges Format, sondern kann sich auch zu einem wichtigen Forum des jungen Architekturdiskurses entwickeln.“

Architektur für ein junges Publikum

„Unsere Nachwuchs-Architektinnen und -Architekten werden hervorragend ausgebildet und produzieren eine Vielzahl interessanter Ideen für künftige Architekturen und Stadtkonzepte“, erläuterte Ernst Uhing, der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, ergänzend den Hintergrund zu der neuen Veranstaltungsreihe seiner Kammer. „Wir möchten diese kreativen Konzepte, Analysen und Visionen gerne öffentlich vorstellen und zugleich ein junges und jung gebliebenes Kulturpublikum für Fragen der Architektur und der urbanen Entwicklung begeistern.“
Der „UrbanSlam“ soll damit einen Beitrag zur baukulturellen Debatte in Nordrhein-Westfalen liefern. Entsprechend ist das neue Format als Projekt der Landesinitiative StadtBauKultur NRW anerkannt und gefördert worden.

Die Architektenkammer plant, den UrbanSlam künftig an verschiedenen Hochschulstandorten mit Architektur-Studiengängen durchzuführen. Dem Slammer, der das Publikum am besten von seiner Idee überzeugen kann, winkt jeweils als Preis eine „Survival“-Tasche, mit der es sich als angehender Architekt bzw. Nachwuchs-Architektin besser durch die Phase des Studiums bzw. der Weiterbildung und Praxiszeit schlagen lässt (Inhalt u. a.: ein Jahresabonnement für das „Deutsche Architektenblatt“, eine Architekten-Thermoskanne, Schreibmaterial uvm.).

Vom Poetry- zum UrbanSlam

Das neue Format lehnt sich an die bekannte Poetry Slam-Bewegung an, in der sich junge Texter und Dichter spielerisch auf der Bühne messen. Mit großem Erfolg laufen seit einigen Jahren auch „Science Slam“- Veranstaltungen an Hochschulstandorten. Auch bei diesem Format geht es darum, dass Texter und Dichter, Wissenschaftler und Forscher im Rahmen eines engen Zeitfensters ihre Gedanken, Ideen oder Forschungsthemen auf der Bühne einem interessierten Publikum vorstellen – und dieses per Applausintensität die Siegerin bzw. den Sieger kürt.

Partner der Architektenkammer NRW ist die Agentur Luups aus Dortmund, die seit mehreren Jahren erfolgreich Science Slams in ganz Deutschland durchführt. Im Vordergrund stehen beim „UrbanSlam“ der Spaß, die Freude am Austausch mit Architekten und architekturaffinen Kulturmenschen sowie das lebendige Veranstaltungsformat.

Den UrbanSlam gibt's als Videozusammenschnitt bei Youtube: hier klicken.

Teilen via