Rechtsproblem des Monats: Wie individuell muss es sein?

Architekt A wendet sich mit folgender Frage an die Architektenkammer NRW: „Vor einigen Jahren habe ich, nachdem mir im Planungswettbewerb der erste Preis zuerkannt worden war, den Neubau einer Moschee geplant. Der Entwurf hat seinerzeit in der Fachwelt einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nun musste ich feststellen, dass das Gebäude ohne mein Zutun nachträglich durch eine neben dem Eingangsbereich angesetzte Überdachung – wohl eine Art Unterstand und Witterungsschutz – verändert wurde. Diese ruiniert meiner Meinung nach die Gesamtwirkung der Fassade. Kann ich dagegen vorgehen?“

26. März 2024von Dr. Sven Kerkhoff

Ein Unterlassungs- bzw. Abwehranspruch, der auf den Rückbau der Überdachung zielen würde, setzt zunächst voraus, dass es sich überhaupt um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der Baukunst handelt.

Eigentümer wenden hiergegen meist ein, dem Bau fehle die individuelle Handschrift, weil bestimmte Gestaltungselemente allgemein gebräuchlich seien und wesentliche Merkmale schon durch den Nutzungszweck, den Zuschnitt des Grundstücks sowie technische, bauplanungs- und bauordnungsrechtliche und in diesem Fall womöglich auch durch religiöse Vorgaben determiniert würden. Das alles muss der Urheberrechtsfähigkeit aber nicht entgegenstehen.

Das OLG Köln (Urteil vom 02.06.2023, Az. 6 U 162/22) hebt hervor, erforderlich, aber auch ausreichend sei eine eigenschöpferische Leistung, die über die Lösung einer fachgebundenen Aufgabe durch Anwendung der einschlägigen technischen Lösungswege hinausgehe, das Bauwerk also aus der Masse des alltäglichen Bauschaffens herausstechen lasse. Hierbei seien die Gestaltungselemente einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen, deren Bezugspunkt Gebäude seien, die dem zu beurteilenden Objekt nach Art und Zweck ähneln. Die Verwendung allgemeinbekannter, gemeinfreier Gestaltungselemente – wie sie etwa bei Moscheebauten anzutreffen sei – schließe eine Schutzfähigkeit nicht aus, sofern durch die Art ihres Einsatzes eine besondere eigenschöpferische Wirkung und Gestaltung erzielt wird. An die Eigentümlichkeit und Individualität werden allerdings umso höhere Anforderungen gestellt, je mehr das Gebäude bereits durch Beschränkungen der oben genannten Art vorgegeben ist.

Dies liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BGH, wonach dafür, ob die notwendige Schöpfungshöhe erreicht ist, im Kern ausschlaggebend ist, ob das Bauwerk die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem es dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2021, Az. I ZR 193/20). Eine Frage, die die Gerichte regelmäßig selbst nach eigener Expertise beurteilen und die im zugrundeliegenden Fall vom OLG bejaht wurde.

Praxistipp:

Ist die notwendige Schöpfungshöhe erreicht, kommt es für die Zulässigkeit baulicher Veränderungen darauf an, ob diese sich im rechtlich zulässigen Rahmen halten, wobei auch vertragliche Regelungen zu beachten sein können. Äußerste Grenze ist das sog. Entstellungsverbot (§ 14 UrhG). Jenseits dessen findet eine Gesamtabwägung zwischen dem Erhaltungsinteresse des Urhebers und dem Veränderungsinteresse des Eigentümers statt. Hier können u.a. wirtschaftliche, technische und nutzungsspezifische Erfordernisse, aber auch die baukulturelle Bedeutung des Objekts eine Rolle spielen (vgl. AKNW-Praxishinweis Nr. 44).

Angesichts der oft nicht sicher einzuschätzenden Urheberrechtsfragen sind Eigentümer von möglicherweise urheberrechtlich geschützten Bauwerken gut beraten, vor baulichen Veränderungen die Entwurfsverfasserin bzw. den Entwurfsverfasser zu kontaktieren. Dies entspricht auch ohne vertragliche Regelung wegen der streitvermeidenden Wirkung der wirtschaftlichen Vernunft und dem Gebot des respektvollen Umgangs miteinander.

 

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