Architekten in ungewöhnlichen Berufsfeldern

Bernd Graber und Dirk Peters - Als Architekten bei einem Schuhfilialisten

Nicht wenige Industrieunternehmen und Dienstleister besitzen eigene Bauabteilungen, in denen Architekten arbeiten. Trotzdem wird dieser Sektor von jungen Kollegen, die über die Wahl des Arbeitsplatzes nachdenken, überraschend wenig beachtet. In unserer Serie über Architekten auf ungewöhnlichen Tätigkeitsfeldern erzählen Bernd Graber und Dirk Peters, weshalb ihnen die Arbeit in der Bauabteilung eines Essener Schuhfilialisten so viel Spaß macht.

15. Juni 2001von Christine Mattauch

Sie hatten schon Stationen hinter sich, als Sie an Ihren heutigen Arbeitsplatz wechselten. Was hat Sie an der Tätigkeit in einem großen Unternehmen gereizt?

Graber: Ursprünglich war mein Ziel die Selbständigkeit. Ich habe aber gemerkt, dass ich nicht der idealistische Typ bin, der ein Büro Stück für Stück aufbaut, mit ungewissen Erfolgsaussichten. Die Tätigkeit in einem großen Unternehmen, da bin ich ganz offen, entspricht meinem Sicherheitsbedürfnis sehr viel besser.Peters: Ich wollte Karrierechancen sehen, eine Perspektive vor Augen haben. Als junger Architekt in einem freien Architekturbüro ist das kaum möglich, da gibt es den Chef, vielleicht noch ein oder zwei Partner, darunter kommt das Fußvolk. In einer großen Firma ist das anders. Da gibt es eine klare Hierarchie, und wenn man Leistung bringt, kann man nach oben kommen. 

Das klingt nach einer recht bürokratischen Arbeitsatmosphäre...

Peters: Im Gegenteil, es geht sehr kollegial zu. Wir sind eben alle Angestellte. Da hat keiner Starallüren. 

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Graber: Immer anders. Die Bauabteilung ist für insgesamt 1.000 Filialen in Deutschland und für mehrere Auslandsgesellschaften zuständig, und das Aufgabengebiet jedes Architekten erstreckt sich über die gesamte Leistungspalette der HOAI. Heute Entwurf, morgen Bauleitung, übermorgen Grundstücksbesichtigung. Der Entwurfsanteil liegt nur bei zirka zehn Prozent, das ist anders als im Architekturbüro. Man muss hier schon ein Allroundtalent sein.Peters: Wir sind darüber hinaus in allen Bundesländern tätig. Das heißt, wir arbeiten mit verschiedenen Landesbauordnungen und Gepflogenheiten der Genehmigungsbehörden. Wir müssen uns wirklich jeden Tag auf etwas Neues einstellen. 

Wie viele Projekte betreut jeder von Ihnen im Jahr?

Peters: Ein Dutzend Neu- und Umbauten werden es schon sein...Graber: ...plus Instandhaltung, Mängelbeseitigung, Entwicklungsmaßnahmen. In dieser Vielfalt liegt eine Menge Kreativität. 

Wie sieht es denn sonst mit der Kreativität aus? Bei einem Filialisten geht man ja davon aus, dass die Niederlassungen möglichst ähnlich auszusehen haben – nicht sehr spannend für einen Architekten...

Graber: Natürlich ähneln sich die Vorgaben - aber langweilig ist der Job deshalb nicht. Es gibt zum Beispiel immer wieder Umbaumaßnahmen mit massiven Eingriffen in die Gebäudestruktur. In München entkernen wir gerade eine Verkaufsstelle in einem denkmalgeschützten Gebäude, mit 1.200 Quadratmetern. Auch in Dortmund wird ein großes Haus komplett umgebaut, ein Projekt, das in meiner Zuständigkeit liegt. Das ist schon eine große Verantwortung, da schläft man auch mal eine Nacht nicht.Peters: Außerdem haben wir im Ladenbau ab und an die Möglichkeit, richtig innovativ zu sein. Vor zwei Jahren haben wir in einer Filiale in Straubing ein Experiment gewagt: neue Farben, moderne Materialien, ein anderer Grundriss mit neuen Funktionsbereichen. Viele Elemente haben sich inzwischen bundesweit als Standard durchgesetzt. 

Sind solche Neuerungen nicht mit einem hohen internen Abstimmungsbedarf verbunden?

Graber: Sicher, da reden viele mit. Ein Architekt in einem großen Unternehmen muss mit Menschen umgehen können, sonst ist er fehl am Platz.Peters: Aber die Wege sind ja kurz. Das ist der Vorteil, wenn der Bauherr im eigenen Haus sitzt. Und obwohl das Unternehmen in ganz Deutschland über 18.000 Mitarbeiter hat, ist die Atmosphäre in der Zentrale sehr persönlich. Der Inhaber kommt ab und zu sogar noch selbst auf die Baustelle. Das hat was! Ich weiß, für wen ich baue. 

Unternehmen sind es gewohnt, hart zu kalkulieren. Wie hoch ist der Kostendruck für Sie?

Graber: Natürlich ist effizientes Arbeiten angesagt. Aber die Arbeit für einen einzigen Bauherren hat einen riesigen Vorteil: Wenn es punktuell zu Kostenüberschreitungen kommt, lässt sich das schon mal durch Minderausgaben bei einem anderen Projekt ausgleichen. Hauptsache, das Gesamtbudget wird nicht überschritten. 

Gibt‘s für Sie im Vergleich zu Kollegen, die im Architekturbüro arbeiten, ein Imageproblem?

Peters: Ja, aus Unkenntnis! Das, was Sie hier aufschreiben, wissen die wenigsten Kollegen. Die fragen, was machst du da, verkaufst du etwa Schuhe? Aber wenn ich erzähle, wie anspruchsvoll die Arbeit ist, kriegen sie große Augen. Wie sieht Ihre Zukunft aus? Peters: So lange ich Entwicklungsperspektiven sehe, bin ich hier richtig. Graber: Das sehe ich genauso. Was ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen kann, ist, jeden Tag im Architekturbüro Pläne zu schrubben.  


Zur Person:
Bernd Graber, Jahrgang 1966, und Dirk Peters, Jahrgang 1964, waren nach ihrem Studium an der Fachhochschule Düsseldorf bzw. an der Fachhochschule Bochum zunächst als Angestellte in freien Architekturbüros tätig: Peters arbeitete zwei Jahre in einem Büro in Heiligenhaus, Graber in Krefeld. Peters wechselte 1994 zu Deichmann, Graber - nach einem Zwischenspiel als Freiberufler - vier Jahre später. Die Bauabteilung des Essener Schuhfilialisten umfasst rund 30 Mitarbeiter, darunter sieben Architekten und ein Innenarchitekt.

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