Blickpunkt

Blickpunkt: Neues Wohnen an Wasserflächen in NRW

Mehr Wasserblick war selten. Entlang der Promenaden von Köln, Düsseldorf oder Duisburg, an den Kanälen des Ruhrgebiets (insgesamt 572 Kilometer Kanal- und Flussufer) im Münsterland – allerorten haben die Städte Nordrhein-Westfalens ihre bisher vernachlässigten Wasserfronten neu entdeckt. Die Architektenkammer NRW stellt Beispiele vor, die in der zukünftigen Stadtentwicklung neue Perspektiven eröffnen.

23. November 2011von Dr. Frank Maier-Solgk

Entstehen soll eine neue Urbanität in maritim geprägter Atmosphäre – eine neue Leichtigkeit des Seins. Und wenn kein Wasser da ist, dann gräbt man eben tiefe Kuhlen, füllt sie mit vielen Tausenden von Litern und zaubert nicht nur neue Hafenatmosphären, sondern ganz neue Landschaften hervor.

Der neue Trend scheint flächendeckend: Es gibt  Projekte wie "Hamm ans Wasser" oder die neue "Waterfront Ruhrort Duisburg". In Essen-Altendorf soll 2012 mit dem Aushub für den 2,2 Hektar großen Niederfeldsee begonnen werden, um hier rund 60 Wohnungen zu bauen. Auch im ehemaligen Industriehafen Fürst Bismarck in Gelsenkirchen ebenso wie in Mülheim („Ruhrbania“) entstehen in den kommenden Jahren neue Quartiere in Wassernähe.

Ruhr-Marinas: Sportboothafen mitten im Ruhrgebiet

Zwar scheint Nordrhein-Westfalen, anders als Rotterdam, Amsterdam oder Hamburg, nicht der bevorzugte Ort für die „Floating homes“ zu sein; die beiden Modellobjekte der THS, die Lust auf das neue Hausbootwohnen machen sollten, liegen seit längerem eher unbeachtet im Duisburger Innenhafen. Die Genehmigungsverfahren für diese Wohnform sind schwierig. Oft stehen ökologische Belange dagegen, und auf fließenden Gewässern darf ohnehin nicht gewohnt werden. Aber: Wenn nicht auf dem Wasser, so bieten die vorhandenen Ruhr-Marinas, die man für die neuen Hausboote schon einmal identifiziert hatte, möglicherweise Platz für Wohnraum im Umfeld.

Die Marina-Essen am Rhein-Herne-Kanal zwischen Altenessen und Karnap jedenfalls will, geht es nach den Plänen der Betreiber, einen 15.000 Quadratmeter großen Sportboothafen mit etwa 100 Bootsliegeplätzen bauen, um den herum auf rund 7 Hektar Fläche ein Stadtquartier zum Wohnen und Arbeiten in direkter Wasserlage entwickelt werden soll.

Wohnen am Wasser ist der neue Trend - für die, die es sich leisten können

Waren es in der Vergangenheit vor allem "Medienhäfen", "Kreativkais" und Ausgehviertel, die die Vision einer modernen Dienstleistungsstadt mit Entspannungsqualitäten umzusetzen suchten, so setzt sich nun, das zeigen die Beispiele, ein anderer Trend durch: Die Tendenz geht in Richtung eines Wohnens, das vor allem eine Qualität zum Ausdruck bringt. Allen Krisen zum Trotz - es geht in Richtung gehobener Wohnangebote.

Dabei fällt der Blick zunächst auf die rheinischen Metropolen, die den Trend vorgeben: Quadratmeterpreise von deutlich über 5.000 Euro im Kranhaus Nord in Köln sind angesichts der Lage mit Rhein- und Domblick fast schon erwartbar. Zusammen mit den wabenförmigen Kuben der benachbarten Wohnwerft gehören sie zu den ersten Adressen eines neuen Wohngefühls.

Zugleich sind es Großstadt-Visitenkarten, für die ein entsprechender Preis auch gerechtfertigt scheint. Weit entfernt ist dies jedenfalls von den mittleren Preislagen, die noch vor zehn Jahren für die hochwertigen und damals innovativen Penthouse- und Maisonettwohnungen am Duisburger Innenhafen von Norman Foster verlangt wurden. Das dortige NF1-Wohnhaus mit seinem Grachtensystem bedeutete seinerzeit einen wichtigen Impuls für Wohnen am Wasser.

Derzeit auf der Agenda steht in Duisburg im Stadtteil Hochfeld die weitere Entwicklung des Rheinparks, der die Stadt weiter an den Fluss bringen soll. Auch hier sind nach Beendigung der Parkanlagen "exklusive Wohnträume in Stadtvillen, Apartments und Penthousewohnungen" vorgesehen.Spitzen-Quadratmeter-Preise in Kranhäusern und Königskindern

Auch im Düsseldorfer Medienhafen beginnt man derzeit nach Jahren der Diskussion mit dem Bau von zwei 64 Meter hohen Wohnhochhäusern. Die beiden mit Skulpturen von Lüpertz geschmückten "Königskinder" sollen 200 Wohneinheiten enthalten, darunter – man ist in Düsseldorf – auch solche, die mit "Doorman" und Anlegestelle für die persönlichen Yachten allerhöchsten Ansprüchen genügen.

Das Düsseldorfer Projekt ist das Ergebnis eines längeren, nun beigelegten Streits zwischen Stadt und Bezirksregierung, bei dem unterschiedliche Interessen lange eine Lösung verhindert haben. Am besten, so Hafenkoordinator Hans-Dieter Jansen, funktionierten derartige Projekte, wenn sich Stadt, Hafen und die Industriebetriebe frühzeitig an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Lösung entwickeln.

Vorbild, so Jansen, könne hierfür Offenbach/Main sein, wo die Mieter sich verpflichtet hätten, in Zukunft auf Klagemöglichkeiten gegen Gewerbansiedlungen (etwa wegen Lärm) zu verzichten. Das Areal am Offenbacher Hafen, das rund 320.000 Quadratmeter groß ist, wurde vor kurzem von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit dem (Vor)Zertifikat in Gold der Kategorie Stadtquartier Neubau ausgezeichnet.

Konflikte zwischen Industrie, Feiern und Wohnen programmiert?

Konflikte um die Nutzung wie die Gestaltung zukünftiger neuer Hafenviertel gibt es auch in Münster. Hier hat sich der alte Stadthafen mit seinem geschwungenen Kreativkai seit 2007 zu einem beliebten Treffpunkt vor allem bei Jüngeren entwickelt. Insgesamt kann man wohl von einem urbanen Erfolg sprechen, der nicht zuletzt den dortigen Kultureinrichtungen zu verdanken ist. Hier führt die Frage einer zukünftigen Wohnnutzung zu kompliziertesten Diskussionen.

Kernstück ist ein rund 45.000 Quadratmeter großes Grundstück der 2001 insolvent gegangenen Holzfirma OSMO, deren große, am Wasser gelegene Hallen ‚stillgelegt’ wurden und seitdem eine Top-location darstellen, unter deren Dächern vom "Public viewing" bis zum "Westfälischen Oktoberfest" die unterschiedlichsten Aktivitäten stattfinden.

Vor kurzem wurde ein Großteil des Grundstückes an die Architekten Rainer Kresing und Andreas Deilmann (Münster) verkauft, deren Vorstellungen in Richtung Abriss der Hallen und Errichtung eines Wohnquartiers mit kleinen Kanälen gingen. Seit Herbst 2010 wird nun im Rahmen von Bürgerveranstaltungen ("Hafenforum") mit Anliegern und Interessierten über die beste Lösung diskutiert.

Nachdem die Idee, die markante Industriearchitektur zugunsten einer modernen Wohnsiedlung in Anlehnung an Venedigs Kanäle oder Hamburger "Fleets" einzutauschen, vielfach auf Kritik stieß, haben die Architekten einen "Plan B" entwickelt, der den Erhalt eines zentralen Teils der alten Hallen vorsieht.

In Kürze wird die Stadt darüber zu entscheiden haben, wie sie sich das Zusammenspiel von Ausgeh- und Kulturviertel auf der einen, einem neuen hochwertigen Wohnviertel auf der anderen Seite vorstellt, das auch noch ein Geschäftszentrum eines zweiten Investors zu integrieren hat. Feiern oder Wohnen, das ist die Frage in Münster. Nutzungsfragen, die auch hier im Vordergrund stehen, sind immer auch Fragen der Sozialpolitik."Phoenix See“ - das Großprojekt schlechthin

Das Thema des Neuen Wohnens am Wasser in Nordrhein-Westfalen wäre nicht vollständig behandelt, wenn man nicht auf das Großprojekt schlechthin zu sprechen käme – auf Phoenix. Der mythische Vogel, der verbrennt, um in neuer Stärke wiederaufzuleben, zeigt sich in Dortmund-Hörde als langgestreckter, relativ schmaler, grundwassergespeister See von 24 Hektar Größe und einer Uferlänge von immerhin rund 3,5 Kilometern.

Derzeit läuft, wenn auch noch zaghaft, die Bebauung von rund 200 Hanggrundstücken am nördlichen, dem sogenannten Sonnenufer, während im Süden erst im kommenden Jahr mit der Vermarktung begonnen wird.

Entspanntes Wohnen in landschaftlich reizvoller Lage soll es alsbald in dem ehemaligen Industrieort geben, in Reihen auf mehreren Terrassenstufen, bei freier Wahl der Architekten, die innerhalb vorgegebener Gestaltungsregel hinsichtlich Dachformen und Fassaden entwerfen dürfen.

Wohnformen vom Einfamilienhaus mit Garten über Terrassenwohnungen bis zur repräsentativen „Stadtvilla“ sollen entstehen. Die Entwürfe verraten auch hier gehobene Ansprüche.

Des Weiteren wird das Südufer von einem kleinen Yachthafen belebt werden, am westlichen Ende in Richtung Hörde kommt eine Seebühne und viel Gastronomie hinzu, während das Nordufer, wo die renaturierte Emscher parallel zum Ufer verläuft, naturhafter belassen wird.

Zu viel vorgenommen?

Insgesamt lässt die Grünraumgestaltung (Büro Landschaft planen + bauen) entlang der Ufer schon heute den Willen zu einer ganzheitlichen Gestaltung erkennen, die von West nach Ost den Übergang von städtischeren zu naturbelasseneren Gestaltungselementen vorsieht. Und doch: Wenn man alle Facetten von Phoenix addiert, so muss man mit einiger Besorgnis die Frage stellen, ob man sich nicht zuviel auf einmal vorgenommen hat.

Ob der schmale See es verträgt, wenn 2.000 Menschen die neue Wasserfläche bewohnen, 5.000 in den neu entstehenden Büros, in der Gastronomie und im Einzelhandel arbeiten, Ausflügler und Skateboarder auf den Wegen um den See rotieren oder Konzerte besuchen. Wer den Phoenix See in seiner ruhigeren Schönheit erleben will, sollte ihn heute besuchen.
BU:
Perspektiven für das OSMA-Gelände in Münster: Masterplan Hansazentrum Neuhafen von Deilmann.Kresing.Architekten mit Pfeiffer, Ellermann, Preckel - Rendering: Pfeiffer, Ellermann, Preckel / Deilmann.Kresing

Masterplan Hansazentrum Neuhafen in Münster: Nutzungskonflikte zwischen Feiern und Wohnen - Grafik: Pfeiffer, Ellermann, Preckel / Deilmann.Kresing

Schöne neue Wasserwelt: Der Phoenix See in Dortmund-Hörde ist mit 24 Hektar Oberfläche größer als die Hamburger Binnenalster - Foto: Frank Maier-Solgk

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