Ausstellung: Die Bechers neu interpretiert
„Thomas Kellner hat mit seiner Fotoreihe seinen eigenen, fotografischen Blickpunkt, der auch den Betrachter lenkt, offenbart; gleichwohl ist er respektvoll mit den Arbeiten und den Motivvorlagen der Becher-Fotografien umgegangen“, erklärte Maximilian Mißelbeck, Kurator der Scholl-Stiftung in Köln, im Rahmen der Vernissage zur Ausstellung „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute“ am Abend des 31. Mai im Haus der Architekten im Düsseldorfer Medienhafen.
In seiner Ausstellung zeigt der Siegener Fotokünstler Kellner 16 Fachwerkhäuser im Siegener Industriegebiet aus einer gegenwärtigen Perspektive. Diesen gegenübergestellt sind klassische Schwarzweißfotografien des bekannten Fotografenpaares Bernd und Hilla Becher aus den 1950er bis -70er Jahren.
Anders als Bernd und Hilla Becher lässt Thomas Kellner bei seinen Arbeiten Licht und Schatten aktiv ins Bildmotiv einwirken. „Der Künstler hat entschieden, dass die Werke eben nicht alle unter gleichen Bedingungen abfotografiert werden sollen“, ordnete Maximilian Mißelbeck die Fotografien von Thomas Kellner ein. „Der Künstler hat vielmehr den Ist-Zustand abfotografiert und bearbeitet.“
Subjektive Perspektive
Dem gegenübergestellt sind in der Ausstellung im Haus der Architekten die Werke von Bernd und Hilla Becher: Hier sieht man zunächst möglichst „objektiv“ abgelichtete Gebäude, die als kategorisierte Dokumentationen verstanden werden können; ganz im Sinne der Becher‘schen Düsseldorfer Fotoschule.
Thomas Kellner habe sich den Motiven im Siegener Stadtteil Eiserfeld ebenfalls fotografisch genähert, aber aus einer deutlich subjektiveren Wahrnehmung. Anders als bei den Bechers zeigten seine Arbeiten auch Spuren von Gebrauch, Veränderung und „dem Alltagswirken in und um die Objekte herum“, führte Kunsthistoriker Maximilian Mißelbeck aus. Der Künstler Thomas Kellner habe bei seinen Werken einen Fokus auf das zu sehende Objekt gelegt. Verstärkt wird dieser Effekt durch eine digitale Nachbearbeitung der Bilder, die den Hintergrund der dargestellten Bauwerke verschwimmen lasse.
Bewusstes Sehen
„Der Blick des Betrachters wird somit automatisch auf das Haus selbst gelenkt“, erläuterte Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer NRW, in seiner Rede zur Vernissage. Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen zeige die Ausstellung gerne im Haus der Architekten, weil in der Gegenüberstellung der Bilder der Bechers und der Fotos des Künstlers Thomas Kellner in dokumentarischer Form deutlich werde, wie sich Architektur wandelt und sich oft in kleinen Schritten über Jahrzehnte weiterentwickelt.
Der Fotokünstler Thomas Kellner selbst erläuterte im Gespräch mit Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der AKNW, und Michael Arns, ehemaliger Vizepräsident der Architektenkammer NRW und anerkannter Experte für den Fachwerkbau im Sieger- und Sauerland, dass es zur Entstehungszeit seiner Fotoserie eine bewusste Entscheidung war, die schon von den Bechers in einer eigenständigen Bildsprache zu präsentieren. „Geschlossene Jalousien, sogar auch mal Menschen im Bild: Das sind bewusste Entscheidungen. Ich wollte mich damals mit meinen Bildern aktiv von den Becher-Werken abgrenzen, aber dennoch das Motiv der Typisierung beibehalten.“
Ungebrochener Charme des Fachwerks
Im Rahmen der Podiumsdiskussion wurde auf der Vernissage in Düsseldorf zudem der historische Hintergrund von den Bauten der Fachwerkhäuser, auch im Gebiet Siegen, näher hinterfragt. AKNW-Vizepräsident a.D. Michael Arns betonte, dass diese Bauten einst für die „einfachen Bürgerinnen und Bürger“ errichtet worden seien. Entsprechend sei auch ihre Verarbeitung aus Sicht heutiger Qualitätsansprüche teilweise als eher minderwertig einzustufen. Einige Baubestandteile gälten zusätzlich zwischenzeitlich als gesundheitsgefährdend, so Fachwerk-Experte Michael Arns weiter. „Der Charme dieser Häuser hat jedoch die Jahrzehnte überdauert. Umso wichtiger ist es, diese Werke auch für die Zukunft dokumentarisch zu erhalten“, meinte der frühere Vizepräsident der Architektenkammer NRW. Diese Arbeit unterstütze Thomas Kellner mit seiner Fotoreihe. Zudem könne die Ausstellung die Diskussion anregen, wie mit historischen Gebäuden umzugehen sei; und auch, wie man Bestand in Kontext von Sanierung und Umnutzung neu denken könne.
Ausstellung bis zum 19.09.22
Dass die Ausstellung mehr als nur eine Fortführung der Becher-Fotografien im Einzugsbereich Siegen sei, bestätigte AKNW-Hauptgeschäftsführer Markus Lehrmann zum Abschluss der Vernissage zur Ausstellung „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute“: „Besuchen Sie die Ausstellung, vergleichen Sie die Entwicklung der Gebäude im Siegener Industriegebiet; und gehen Sie auf Spurensuche. Welche Veränderungen können festgehalten werden, wie unterscheiden sich die Werke der Bechers von den subjektiven Fotografien von Thomas Kellner? Zu all diesen Fragen findet man in dieser Ausstellung spannende Antworten.“
Ergänzt wird die Fotoausstellung um Architekturmodelle von Studierenden des Departments Architektur der Universität Siegen (betreut von Prof. Karl Kiem), durch ausliegende Bücher von Bernd und Hilla Becher und durch einen Dokumentarfilm des WDR, den der Zuschauer vor Ort ansehen kann.
Anlässlich der Ausstellung im Haus der Architekten in Düsseldorf ist eine erweiterte Auflage des Kataloges „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes heute“ erschienen. Das Ausstellungsprojekt wird unterstützt von der Artgalerie Siegen, dem WDR-Fernsehen Lokalzeit Südwestfalen sowie dem Department Architektur der Universität Siegen.
Die Ausstellung ist bis zum 19. September im Haus der Architekten in Düsseldorf zu sehen.
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