Düsseldorf geht in die Höhe

Vor 100 Jahren ging Düsseldorf in die Höhe. Als stolze Mitte der Stadt wurde im Sommer 1924 zwischen Altstadt und Bankenviertel das nach dem damaligen Oberbürgermeister benannte Wilhelm-Marx-Haus bezogen. Im selben Jahr wurde in Pempelfort der erste Wohnhochhaus Deutschlands fertiggestellt.

07. November 2024von Dr. Frank Maier-Solgk
Wohnhochhaus Prinz-Georg-Straße 100 in Düsseldorf-Pempelfort von Architekt G. A. Munzer. – Foto: Frank Maier-Solgk

Das Wilhelm-Marx-Haus, ein mit Ziegeln und Muschelkalk verkleideter Stahlbetonbau, war ein Jahr lang mit seinen 57 Metern das höchste Gebäude in Deutschland - bevor ihm rheinaufwärts das von Oberbürgermeister Konrad Adenauer forcierte Hansa-Hochhaus in Köln um acht Meter den Rang ablief.

Ebenfalls 1924 wurde ein paar hundert Meter entfernt in der Breite Straße der nach den Gebrüdern Stumm benannte Unternehmenssitz (Stummhaus) fertiggestellt. Stumm hatte 1918 seine Tätigkeiten in Lothringen und dem Saarland weitgehend einstellen müssen. Wie das Wilhelm-Marx-Haus von Wilhelm Kreis bestand der von Paul Bonatz entworfene Verwaltungsbau aus mehreren, teils gestaffelten Gebäuden, dessen Kern ein im Stil des Backsteinexpressionismus errichtetes 11-stöckiges Hochhaus von 52 Metern bildete. Es stellt eines der prägnantesten Beispiele eines Stils dar, den Bonatz selbst als „Bürohausgotik“ bezeichnete: Hauptmerkmal war die Betonung der Vertikalen, die hier durch dreieckige, auskragende Lisenen in den Straßenfassaden betont wurden.
Das dritte Exemplar der neuen „Hochbaupolitik“ in Düsseldorf – den Auftakt hatte das 1921 bis 1923 errichtete Industriehaus am Wehrhahn (vgl. DAB NRW 09/21) gebildet – war Ende 1924 kein Bürogebäude mehr, sondern ein neunstöckiges Wohnhaus (die beiden oberen Stockwerke gingen im 2. Weltkrieg verloren), das nach den damaligen Hochhaus-Definitionen als erstes Wohnhochhaus in Deutschland galt. Der ebenfalls backsteinverkleidete Bau an der Prinz-Georg-Straße im Stadtteil Pempelfort bot Raum für 18 großzügige 6-8-Zimmer-Wohnungen, besaß einen Aufzug und wies überdies, was die Fassaden betraf, ähnliche Züge wie das Stummhaus auf: Die auffallend gekappte Spitze des Eckgebäudes wurde durch einen niedrigeren Vorbau noch einmal akzentuiert und durch Spornlisenen ihrerseits in der vertikalen Ausrichtung hervorgehoben.
Architekt war Gustav August Munzer, der u.a. an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf (bei Wilhelm Kreis) studiert hatte, Mitglied im Deutschen Werkbund war und 1911 ein Büro in Düsseldorf gegründet hatte. Weitere Wohnhäuser in ähnlichem Stil in verschiedenen Stadtteilen belegen seinen seinerzeitigen Erfolg. Nationale Bekanntheit erlangte Munzer Ende der 1920er Jahre durch ein in der Kieler Förde errichtetes Marinedenkmal, das mit 72 m Höhe am eindringlichsten eine Architekturvorstellung zum Ausdruck brachte, für die die Idee himmelstrebender gotischer Kirchen noch eine Bedeutung besaß.
Auffallend beim Wohnhochhaus in Pempelfort ist nicht zuletzt seine Lage an der Kreuzung zweier Straßen. Das Haus entspricht damit einer urbanistischen Strategie, welche an städtebaulich hervorgehobenen Punkten mit markanten Gebäuden Akzente setzen wollte. „Je spitzer der Winkel, umso besser“ (Jürgen Wiener), lässt sich dieser Aspekt des Düsseldorfer Baugeschehens in den 1920er Jahren pointieren.
Generell war weder der Backsteinexpressionismus noch die Tendenz, baulich in die Höhe zu gehen, Ausdruck von Macht und Repräsentativität. Kreis, Bonatz und auch Munzer wird man insgesamt sicherlich als Traditionalisten bezeichnen können; ihre Backsteinarchitektur wies jedoch auch neusachliche Züge auf.
Ein anderer Aspekt wird deutlich, wenn man den Kommentar des „Zentralblatt der Bundesverwaltung“ zum Bonatz-Plan für den Stummhaus liest: Der Bau solle „im Gegensatz zu den prunkvollen Verwaltungsgebäuden, wie sie vor dem Krieg entstanden sind, errichtet werden, unter Aufwendung einfachster Mittel und Formen“. Keine monumentale Preußenherrlichkeit mehr (wie beim Stahlhof), sondern ein Bauen, das angesichts des verlorenen 1. Weltkriegs zurückhaltender im Gestus auf eigene Traditionen zurückgreift.
Überblickt man die frühen Hochhäuser Düsseldorfs jener Jahre, so lässt sich neben der verhaltenen Höhentendenz auch eine kontextbezogene Anpassung an die Umgebung feststellen. Düsseldorf hat an diesem Prinzip mit seinen diversen Punkthochhäusern, die sich nicht zu Clustern verbinden, später und bis heute mehr oder weniger festgehalten. Wie es damit in Zukunft weitergeht, da der Typus Wohnhochhaus inzwischen andernorts bei 473 m (Central Park Tower, New York) angekommen ist, wird man sehen. Vermutlich wird darüber mehr als anderes die Prosperität von Investoren und potenziellen Wohneigentümern entscheiden.  

Teilen via