Fesselnde Lektionen im Lehrfach Europa: Architektenkongress auf Jersey bot ein facettenreiches Programm
Es war ein Kongress der Superlative. Hochkarätige Referenten, inhaltsreiche Vorträge, eine interessante Umgebung - die Bilanz der Besucher des Internationalen Architektenkongresses der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen vom 18. bis 22. Juni auf Jersey fiel überaus positiv aus. Auch der Berufsstand profitiert: Jersey habe "wichtige Erkenntnisse für die Arbeit der Kammer gebracht", betonte AKNW-Präsident Hartmut Miksch.
Um das Motto "Architektur und Politik - Europa gestalten!" in seiner ganzen Bandbreite zu beleuchten, hatte die AKNW prominente Referenten verschiedener Disziplinen zusammengeholt. Angefangen vom Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Prof. Norbert Walter, über den Philosophen Prof. Peter Sloterdijk bis zu "Zeit"-Herausgeber Theo Sommer. Das facettenreiche Programm wurde kreativ und sachkundig moderiert von WDR-Journalist Ralph Erdenberger. Es seien die Architekten, die dem Kontinent Gestalt und bauliches Profil verliehen und damit einen "höchst realen Beitrag" zum Auf- und Ausbau des Europäischen Hauses lieferten, stellte AKNW-Präsident Hartmut Miksch in seiner Begrüßungsansprache fest. Wie der Berufsstand Europa präge und umgekehrt die europäische Integration auf den Berufsstand Einfluss nehme, mit diesen Fragen werde man sich auf der Kanalinsel beschäftigen. Jersey sei aber auch der Ort, um die für Architekten existenziellen berufspolitischen Themen zu diskutieren - etwa die geplante Kürzung der Eigenheimzulage und die Zukunft der Honorarordnung. Die Fachleute seien sich einig, dass die HOAI kein Musterbeispiel für bürokratische Überregulierung sei, sondern sich mit einer gezielten Novellierung zukunftsfähig machen lasse. "Die HOAI muss man reformieren, aber nicht abschaffen!"Unterstützung im Kampf um die HOAI
Eine Meinung, die Tilo Braune teilte. Der Staatssekretär im Bundesbauministerium konstatierte "Entschlackungsbedarf" bei der Honorarordnung, ihre Verbindlichkeit müsse jedoch beibehalten werden. In dieser Hinsicht vertrete sein Haus eine andere Haltung als Bundeswirtschaftsminister Clement, "und ich gehe davon aus, dass wir uns in der Debatte durchsetzen werden".Stichwort Architekturexport: Braune bedauerte, dass nur zwei Prozent der deutschen Planungsbüros international tätig seien, deutlich weniger als in anderen Ländern. "Die Situation erscheint mir unbefriedigend, weil ich weiß, dass wir mehr können", sagte der Staatssekretär. Er verwies auf die neue Außenwirtschaftsförderung der Bundesregierung, die ein deutlich verbessertes Instrumentarium für Architekten bereithalte. Der Berufsstand müsse aber auch selbst aktiv werden: Kleine und mittlere Büros sollten sich vernetzen und strategische Kooperationen bilden, forderte Braune.Auch NRW-Bauminister Michael Vesper wünschte sich einen deutlicheren Beitrag der deutschen Architekten zum europäischen Baugeschehen. Die Architektur spiele eine zentrale Rolle bei der Selbstfindung Europas: "Es geht um nichts weniger als um Konzepte für die multikulturelle Demokratie." Dies sei auch der Ansatz der NRW-Initiative StadtBauKultur, die jetzt Fahrt aufnehme. Vesper: "Wenn wir gut sind, werden Architektur und Städtebau aufregende Themen, und das hilft auch dem Export."Zum Thema HOAI äußerte sich der nordrhein-westfälische Bauminister zurückhaltender als Braune. Konsens sei, dass es "eine substanzielle Vereinfachung dieses Werkes geben" müsse und die Honorare von den Baukosten abgekoppelt werden sollten. Vesper gab aber auch zu Bedenken, dass innerhalb Europas neben Deutschland nur Griechenland und Italien über eine Honorarordnung verfügen. In zwölf Ländern gebe es Honorarempfehlungen, in den übrigen Staaten seien Architekten-Honorare frei verhandelbar. Was dies langfristig für den Bestand der HOAI bedeutet, ließ Vesper offen.
Ist Architektur totalitär?
Einen Bogen von den Anfängen Europas zur Gegenwart spannte der Karlsruher Philosophieprofessor Peter Sloterdijk. Pointiert erzählte er die Geschichte Europas als ein antithetisches Wechselspiel zwischen imperialen Bestrebungen und ihrem Gegenteil. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach den Erfahrungen mit dem Faschismus, hätten sich die Menschen von der imperialen Idee abgekehrt: "Sie wollen keine Reiche mehr bauen", sagte Sloterdijk. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die Gestaltung von Städten und Häusern: Gebäude würden zu "Tauchanlagen", das Wohnen werde als "willkommene Unterwerfung unter das Ambiente" angesehen.
Aus Sicht des Philosophen ist Architektur per se totalitär, weil sie eine Umgebung schafft, der sich die Menschen nicht entziehen können. "Die freiwillige Knechtschaft in einer von Menschen gemachten Umgebung - das ist Architektur", sagte Sloterdijk. Heiterkeit kam auf, als er in Weiterführung dieser Argumentation den Entwurf als "Versklavungsvorschlag" für den Bauherren bezeichnete. Durchaus ernst gemeint war aber der Appell des Philosophen an die Architekten, ihre Verantwortung für die Atmosphäre der Städte wahrzunehmen. Schließlich sei Architektur eine "Langzeit-Investition in den Raum".
Liberalisierung wird zunehmen
Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter beschäftigte sich mit der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union und der weiteren Entwicklung des Binnenmarktes. Europa, so seine Analyse, werde noch lange Zeit eine Baustelle bleiben. "Es ist bemerkenswert, dass das Bauwerk von innen gar nicht so attraktiv aussieht, wohl aber von außen aus Sicht derer, die sich anschließen wollen." Der Ökonom prophezeite, dass bis zum Jahr 2010 auch die Länder des früheren Jugoslawiens Anschluss an die EU gefunden haben werden.
Deutschland sei gut beraten, sich auf eine weitere Liberalisierung insbesondere des Dienstleistungs-Sektors einzustellen. Das wäre auch für den Planungsbereich "außerordentlich fruchtbar", meinte der Ökonom. Im Mittelalter sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, sich an den größten Baumeistern Europas zu orientieren. "Warum tun wir das heute nicht?"
Architekten, die im Ausland tätig werden wollen, gab er den Tipp, vor Ort einen Partner als "Anker" zu suchen oder mit großen, international tätigen Unternehmen "Huckepack" zu gehen.
Ethik der Wirtschaft eingefordert
Europa steht nicht allein: Mit den globalen politischen und ökonomischen Perspektiven befasste sich "Zeit"-Herausgeber Theo Sommer. Er analysierte das Verhältnis zwischen den USA und Europa und wog die Chancen für das Entstehen neuer Machtblöcke ab: Russland, China, Japan und aufstrebende Dritte-Welt-Staaten wie Indien und Brasilien könnten, so seine Einschätzung, in Zukunft eine größere Rolle spielen als bisher. "Angesichts dieser Ausgangslage ist es wichtig, dass sich Europa weiter zusammenschließt."
Europa müsse aber keine Supermacht werden wollen - "es reicht, wenn es sein Gewicht in die Waagschale wirft". Immerhin würden hier 20 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts erwirtschaftet.
Die Zukunft der kapitalistischen Wirtschaftsordnung war für Sommer keineswegs gesichert. "Der Markt hat für viele Probleme keine überzeugenden Lösungen", sagte er mit Blick auf Massenarbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen. Es komme darauf an, politische Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen und stabile Märkte mit fairen Bedingungen für alle zu schaffen, anderenfalls seien Umstürze und Revolutionen zu befürchten. Sommer: "Die Logik der Wirtschaft kann nicht Oberhand behalten, wenn dahinter nicht eine Ethik der Wirtschaft steht, die sich in Einklang mit den Werten der Gesellschaft befindet."
Konsens- und Gruppenarchitektur
Wie sehr gesellschaftspolitische Weichenstellungen die Architektur prägen können, verdeutlichte der Wiener Architekt Alfred Berger mit einem Vergleich zwischen Finnland und Österreich. Berger charakterisierte Finnland als einen Staat mit starker nationaler Identität. Österreich hingegen sei seit der Staatsgründung in verschiedene gesellschaftliche Milieus zerfallen - Intellektuelle, Bürger, Arbeiter. "Architektur konnte sich in Österreich nie als gemeinsames Wollen manifestieren, sondern war immer Ausdruck einzelner Gruppen", sagte Berger. Im starken Kontrast zu dieser "Architektur der Interessen" (Berger) stehe der Architektur-Konsens in Finnland. Dort sei Architektur auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein "unverrückbarer Wert und ein Fundament für den Wiederaufbau" geblieben. In Österreich hingegen hätten erst Mitte der 60er Jahre junge, avantgardistische Architekten für einen Aufschwung gesorgt. Bergers Fazit: "Wenn sich die Finnen ihren sicheren Gang bewahren und die Österreicher ihre Unzufriedenheit, haben wir auch in Zukunft in beiden Ländern eine spannende Architektur zu erwarten."
Europa ewig unvereinigt?
Inwieweit ist ein vereintes Europa eine Idealvorstellung, inwieweit Realität? Fragen, denen sich der Publizist Roger Willemsen widmete. Er stichelte gegen die Worthülsen in Sonntagsreden: Es entspreche durchaus dem parlamentarischem Sprachgebrauch, "Freiheit" zu sagen und freien Warenverkehr zu meinen, "Kultur" zu sagen und nichts zu meinen. Wie genau, so fragte Willemsen, sollten sich die Bürger Europas eigentlich verhalten: "Wohin mit dem ausgeprägten Gefühl, etwas Besonderes zu sein, was einschließt, dass die anderen etwas weniger Besonderes sind? Oder ist alles nicht so gemeint und wir sollen doch Deutsche bleiben, nur eben im Angesicht einer radikalen Erschließung neuer Märkte?" Willemsens Fazit: "Alles in allem wird Europa wohl vereinigt unvereinigt bleiben."
"Lessons of Jersey"
Als “Lessons of Jersey" fasste AKNW-Vizepräsident Michael Arns zusammen: Die Öffnung der internationalen Märkte verschärfe den Wettbewerb für Architekten, biete aber zugleich die Chance, den Verlust heimischer Marktanteile zu kompensieren. Arns: "Für uns bleibt die Aufgabe, uns stärker zu vernetzen und unser Leistungsprofil gegenüber potenziellen Kunden herauszustellen."
Eins der Highlights von Jersey: International tätige Architekten präsentierten sich, ihre Philosophie und ihr Werk vor dem Hintergrund des Themas „Europa gestalten“
Podiumsdiskussion auf Jersey: "Von Chancengleichheit weit entfernt" - Welche Perspektiven bieten sich deutschen Architekten im Ausland
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