Kirchenumnutzung als "gesellschaftlicher Prozess"
Vielen Kirchengebäuden in Nordrhein-Westfalen droht Leerstand, Verkauf und Abriss. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent der rund 6.000 Sakralbauten in NRW langfristig von diesen Entwicklungen betroffen sein werden. Mit dem Projekt „Zukunft – Kirchen – Räume“ leistet die Landesinitiative Baukultur Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Architektenkammer NRW und weiteren Partnern einen Beitrag, Sakralbauten zu bewahren, und unterstützt Betroffene beim Erhalt und bei der Umnutzung. Das Unterstützungsprogramm „Zukunftskonzept Kirchenräume“ fand - als zentraler Projekt-Baustein - nach über zweijähriger Durchführung in der Gelsenkirchener Heilig-Kreuz-Kirche am 31. März einen feierlichen Abschluss.
Im Rahmen der Abschlussveranstaltung wurden die acht geförderten Teilnehmer*innen für ihren Einsatz zur Entwicklung eines Neunutzungskonzepts für ihr Kirchengebäude und dessen Mehrwert innerhalb des jeweiligen Quartiers sowie für den erarbeiteten Erkenntnisgewinn derartiger Prozesse gewürdigt.
Zuvor hatten sich 21 Kirchengemeinden, Pfarreien und bürgerschaftlich Engagierte mit ihren Kirchengebäuden für eine Unterstützung der Entwicklung eines Nutzungskonzeptes beworben. Aus den Einreichungen wurden durch eine Fachjury, in der die Architektenkammer NRW durch ihren Präsidenten Ernst Uhing vertreten war, Kirchenprojekte in Neuss, Köln, Oberhausen, Gelsenkirchen, Wuppertal, Krefeld, Iserlohn und Essen für eine erste Bearbeitungsphase auswählt. Mit professioneller Prozessbegleitung (zumeist durch Architektur- oder Stadtplanungsbüros) wurden in Vorstudien die Grundlagen für eine Umnutzung und bauliche Anpassung des Gebäudes sowie erste Nutzungsideen ermittelt. Die Fachjury wählte für eine zweite, vertiefende Bearbeitungsphase vier der acht Kirchenprojekte aus, die ein weiteres Jahr bei ihrer Arbeit unterstützt wurden. Die gesammelten Erfahrungen aus dem Programm werden nun von Baukultur NRW und dem Büro „Synergon“ evaluiert und webbasiert veröffentlicht. Zudem erscheint im Herbst 2022 ein Magazin zu diesem Thema.
Breites Kooperationsprojekt
Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen setzt sich schon seit vielen Jahren für die qualitativ hochwertige Anpassung oder Umnutzung von Kirchengebäuden ein und unterstützte das Projekt deshalb von Beginn an mit Nachdruck. „Kirchengebäude stiften eine besondere, oft sehr persönliche Identität für viele von uns. Unabhängig von Glaubensfragen werden sie städtebaulich als Mittelpunkt unserer Orte wahrgenommen“, erläutert Kammerpräsident Ernst Uhing. „Wenn wir uns mit der Zukunft von Kirchengebäuden auseinandersetzen, ist dies eine ganz besondere baukulturelle Aufgabe!“
Neben der AKNW war an dem Kooperationsprojekt von Baukultur NRW die Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen beteiligt; zudem wirkten die (Erz-)Bistümer und Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen sowie die RWTH Aachen und das Büro Synergon aus Köln mit. Das Projekt stand unter der Schirmherrschaft von Bau- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach. In ihrer Vertretung erläuterte der zuständige Referatsleiter Dr. Thorsten Drewes in der Abschlussveranstaltung die Motivation des Landes. Man könne nicht jede brachfallende Kirche mit Landesmitteln unterstützen; mit dem Projekt würden aber viele gute Beispiele dokumentiert. „Besonders wurde auf die Prozesse geschaut und daraus ein Leitfaden für die vielen noch anstehenden Aufgaben entwickelt“, führte Dr. Drewes aus.
Von Höhen und Tiefen
Peter Köddermann, der Programmgeschäftsführer der Landesinitiative Baukultur NRW, betonte den experimentellen Charakter des Projekts „Zukunft - Kirchen - Räume“, mit dem es gelungen sei, den Dialog zwischen den teilnehmenden Kirchengemeinden und den Kommunen anzuschieben und die soziale Bedeutung der Kirchengebäude in den Blick zu nehmen. Kirchenumnutzungen seien eben nicht nur ein kirchlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher, städtischer und politischer Prozess. Dabei sei festzustellen, „dass die Zusammenarbeit mit den Kommunen noch ausbaufähig ist“, betonte er.
Bei der Entwicklung eines nachhaltigen Nutzungskonzepts für ein Kirchengebäude haben die Betroffenen oft wenig oder keine Erfahrung in den anstehenden Prozessen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich daher dankbar für die Prozessbegleitung durch die Fachbüros und die Unterstützung durch Baukultur NRW. So wurde berichtet, dass teils diametrale Interessen experimentierfreudiger und konservativer Gruppen zum Ausgleich gebracht werden müssen, Teambesetzungen sich wandeln oder potenzielle Investoren ihren Fokus ändern. Alle Teilnehmer des Unterstützungsprogramms hoben die Bereitschaft zu Offenheit und Akzeptanz hervor. Deutlich wurde die von der jeweiligen Aufgabe geprägte, unterschiedliche Herangehensweise. Esther Heckmann, Projektleiterin von „Zukunft – Kirchen - Räume“, betonte den möglichen gesamtgesellschaftlichen Wert für Quartiersentwicklungen.
Heckmann verwies auf den gewonnenen und dokumentierten Erfahrungsschatz „stellvertretend für zukünftige Projekte“. Jörg Beste vom Büro „Synergon“ in Köln, der als externer Experte das Projekt begleitet hatte, zeigte sich zuversichtlich, dass die acht Projekte in den kommenden Jahren ihre Strategien bestmöglich weiterverfolgen würden, um ihr jeweiliges Nutzungskonzept in die Realität zu überführen. Die Pandemie habe mit erzwungen, dass manches umgesteuert und neue Prozesse entwickelt werden müssten. Als Erfolg wertet Beste, innerhalb eines – für solche Neunutzungsprozesse – relativ kurzen Zeitraumes acht Zukunftskonzepte angestoßen und auf die Thematik in den beteiligten kirchlichen Körperschaften, Kommunen und Quartieren aufmerksam gemacht zu haben.
Beispiel einer gelungenen Umnutzung nach 15 Jahren
Eine Erkenntnis, die sich aus allen Projekten ableiten ließ, war: Kirchliche Umnutzungen brauchen Geduld und einen langen Atem. Ein Beispiel dafür war der Veranstaltungsraum der Abschlusstagung, die Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen. Ihre sakrale Nutzung war bereits vor 15 Jahren aufgegeben worden; erst 2018 konnte allerdings mit den Arbeiten für eine Umnutzung begonnen werden. Das Gebäude im Stil des Backsteinexpressionismus war Ende der 1920er Jahre nach den Plänen des Architekten Josef Franke erbaut worden. Der Innenraum und bauliche Ergänzungen ermöglichen die heutige Nutzung als Versammlungsstätte, die Architekt Edgar Krings (pbs Aachen) in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege umsetzen konnte: „Unser Ziel war es, mit behutsamen Eingriffen und Ergänzungen den Raum zu erhalten und zugleich die neuen, multifunktionalen Anforderungen zu ermöglichen“, resümierte Krings. „Die Umnutzung einer Kirche ist eine technisch und gestalterisch anspruchsvolle und daher umso reizvollere Aufgabe für einen Architekten.“
Weitere Informationen
Die Informationsplattform www.zukunft-kirchen-raeume.de dokumentiert bereits 90 realisierte Umnutzungsprojekte aus ganz NRW, beschreibt die vielfältigen Entwicklungsprozesse, nennt die beteiligten Fachbüros und Institutionen und gibt damit einen umfangreichen Überblick über umgenutzte und baulich angepasste Kirchengebäude. Die AKNW wirkte im Fachbeirat mit und beteiligte sich an Fachartikeln etwa zu Baurecht und Planungsprozessen, die als weitere Hilfestellung für Ratsuchende dienen. Es ist vorgesehen, die Inhalte der Homepage weiter auszubauen. Bis Ende des Jahres 2022 wird dort allen Interessierten ein Einblick in die Prozessverläufe und Ergebnisse der Teilnehmerprojekte gegeben. Die evaluierten Erkenntnisse aus dem Programm sollen so engagierten Menschen zugänglich gemacht werden, die sich ebenfalls für den Erhalt ihrer Kirche einsetzen möchten.
In der Wanderausstellung „Fluch und Segen. Kirchengebäude im Wandel“ erläutert das Museum der Baukultur anhand von 17 Projekten, mit welchen neuen Konzepten und baulichen Veränderungen sich Kirchengemeinden der Herausforderung stellen, wenn sie eines ihrer Kirchengebäude als Gemeindekirche aufgeben müssen. Die Architektenkammer NRW hatte sich in die Vorbereitung der Ausstellung über Themenworkshops eingebracht. Letzte Station macht die Ausstellung vom 11.7. bis 4.8.2022 im Kulturzentrum der Abtei Brauweiler in Pulheim.
Teilen via