Kommentar: Sehnsucht und Vision für den Städtebau

Wer Großes erreichen will, braucht ehrgeizige Ziele, gewagte Ideen, mutige Visionen. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir in unserer berufspolitischen Arbeit über Wege zur Beseitigung des Wohnungsmangels, über klimafolgen-resistente Stadtentwicklung und eine Verbesserung unserer Verkehrsinfrastruktur diskutieren. Ein Kommentar von Dr. Christian Schramm, Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen.

12. August 2019

Liebe Kollegin, lieber Kollege!

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Dieses Zitat wird dem französischen Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry zugeschrieben, und ich glaube, dass es für viele von uns, die jetzt aus dem Sommerurlaub zurückgekehrt sind, in diesen Tagen besonders gut nachvollziehbar ist.

Wer Großes erreichen will, braucht ehrgeizige Ziele, gewagte Ideen, mutige Visionen. Das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir in unserer berufspolitischen Arbeit über Wege zur Beseitigung des Wohnungsmangels, über klimafolgen-resistente Stadtentwicklung und eine Verbesserung unserer Verkehrsinfrastruktur diskutieren. Die jungen Leute der „Fridays for Future“-Bewegung machen es vor.

Sie können in dieser Ausgabe des Deutschen Architektenblattes in unserer NRW-Rubrik „Politik“ nachlesen, welche Fördermittel die Landesregierung in diesem Jahr für Städtebauförderung (466,5 Mio. €) und für die Dorfneuerung in Nordrhein-Westfalen (23 Mio. €) zur Verfügung stellt. Das sind gute Nachrichten, denn die Mittel sind im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Eine echte Aufbruchstimmung stellt sich dennoch nicht ein. Man wünscht sich, dass diese nüchternen Zahlen mit einer Vision verbunden werden könnten. Dazu sind Leuchtturmprojekte hilfreich - seien es einzelne Bauwerke, städtebauliche Vorhaben oder kooperative Vorhaben, an denen viele engagierte Menschen mitwirken können. 

Wir haben bei uns im Ruhrgebiet etliche Beispiele dafür, wie große städtebauliche Visionen zu gebauter Realität wurden: vom Innenhafen in Duisburg über die InnovationCity Bottrop bis zum Stadtneubauprojekt Phoenixsee in Dortmund. Mit der Internationalen Gartenschau „IGA 2027“ entwickeln die Kommunen im Revier gegenwärtig wieder ein ambitioniertes gemeinsames Ziel mit Strahlkraft: Wir wollen zur „grünsten Industriemetropole der Welt“ werden, wie es RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel im Sommer formulierte.

Mit insgesamt 23 Millionen Euro sollen die Parks vom traditionsreichen Angebot zur Naherholung weiterentwickelt werden zu Orten der Begegnung, der Integration und der Bildung: Naturlehrpfade, grüne Klassenzimmer und Angebote für spielerisches Natur-Lernen können Vorhaben wie die IGA 2027 auch für Kinder und Jugendliche begreifbar und erfahrbar machen. Wenn wir über Städtebau und Wohnraumentwicklung, über Infrastrukturmaßnahmen und Landesentwicklungsplanung sprechen, ist es immer wieder wichtig, die damit verbundenen abstrakten Programme und Konzepte für die Menschen vor Ort zu übersetzen. Ein Förderprogramm mag für uns Architekten und für Investoren interessant sein und ist oftmals die Grundlage, um Projekte überhaupt möglich zu machen - für die Bürgerinnen und Bürger bleibt es in der Regel abstrakt. 

Deshalb brauchen wir ein Narrativ, eine starke Geschichte, wenn wir eine Aufbruchstimmung für mehr Wohnungsbau, für bessere Infrastrukturen, für eine wertige, zukunftsfähige Entwicklung unserer ländlichen Regionen schaffen wollen, wie unsere Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach auf dem Sommerfest der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen vor 2500 Kammermitgliedern und Gästen angekündigt hat. Solche Narrative sind gelungen mit der IBA Emscher Park, mit der Kulturhauptstadt Ruhr 2010; vielleicht wird die IGA 2027 ein weiterer Meilenstein für die Wandlungs- und Entwicklungsprozesse an Rhein und Ruhr.

Städtebauprogramme werden dann konkret, wenn vor der Haustür gebaut wird; im Lokalen, in der Kommune. Deshalb freue ich mich, dass in den letzten Wochen in einigen großen Städten unseres Landes neue Planungs- und Baudezernenten gewählt wurden, die renommierte Fachkolleginnen und -kollegen sind. Wünschen wir den neuen Stadtbaumeisterinnen und -baumeistern guten Wind in den Segeln: Den Mut, Visionen für ihre Stadt zu entwickeln, und die Fähigkeit, in Politik, Verwaltung und Bürgerschaft die Sehnsucht nach ambitionierten städtebaulichen Zielen zu wecken. Glückauf!

Ihr Dr. Christian Schramm

Vizepräsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen

schramm@aknw.de

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