Kommentar von AKNW-Vizepräsident Michael Arns: Stolpersteine - NRW lebt. barrierefrei

„Unsexy!“ Mit diesem Schlagwort werden gerne Themen belegt, die nicht auf Anhieb als leicht konsumierbar wahrgenommen werden. Typisches Beispiel ist der Begriff „Barrierefreiheit“; mancher denkt dabei an Behinderung und Alter, andere an die DIN 18040 und Haltegriffe im Bad.

18. September 2014

Liebe Kollegin,
lieber Kollege!

„Unsexy!“ Mit diesem Schlagwort werden seit einigen Jahren gerne Themen belegt, die nicht auf Anhieb als gefällig und leicht konsumierbar wahrgenommen werden. Ein typisches Beispiel ist der Begriff „Barrierefreiheit“; mancher denkt dabei an Behinderung und Alter, andere an die DIN 18040 und Haltegriffe im Bad. Dass das überhaupt nicht so sein muss, hat Anfang September unsere Veranstaltung „Leben ohne Schranken“ in Bielefeld gezeigt. Rund 200 Teilnehmer sorgten in der Ravensberger Spinnerei für einen ausgebuchten Saal und verfolgten die erste dezentrale „NRW.lebt“-Veranstaltung zum Thema „Barrierefrei Wohnen und Arbeiten“ mit höchster Aufmerksamkeit.
Ich muss gestehen, dass ich mich im Vorfeld der Veranstaltung gefragt hatte, was ich denn zum barrierearmen oder barrierefreien Planen und Bauen wohl Neues erfahren würde.

Nach dem äußerst lebendigen und beeindruckenden Nachmittag in Bielefeld war klar: Es geht nicht nur darum, konkrete Inhalte zu lernen. Dazu bietet unsere Akademie Seminare an, dazu gibt es Fachtagungen zuhauf. „NRW.lebt“ will sensibilisieren und motivieren, sich intensiv mit den Folgen des demografischen Wandels auseinander zu setzen. Was der Kopf weiß, ist dem Bauch vielleicht noch (zu) egal. Deshalb ist die Aktionsplattform „NRW.lebt“ so wichtig:

Unser Ziel ist es, auch den Bauch und das Herz der Menschen zu erreichen, sowohl unserer Kolleginnen und Kollegen (die einen Großteil des Publikums in Bielefeld ausmachten) als auch einer breiteren Öffentlichkeit. Es bleibt eine schwierige, aber wichtige Aufgabe für uns alle, Nicht-Fachleute in unsere Veranstaltungen und Diskurse einzubinden. Nicht allein, um unsere Inhalte zu transportieren, sondern auch, um immer wieder die Sichtweisen von Mietern, Eigentümern, Bauherren und Bürgern zu reflektieren.

Beispielsweise habe ich aus Bielefeld die Erkenntnis mitgenommen, dass wir „Barrierefreiheit“ vielfach noch zu stark auf Gehbehinderungen reduzieren. Man denkt an Türbreiten und Bewegungsflächen für Rollstühle und Rollatoren. Die Studentin Roswitha Rother, die im Rahmen der „NRW.lebt“-Veranstaltung von ihren Erfahrungen an der Uni Bielefeld berichtete, ist taub, kann aber über ein Implantat Töne und Sprache verstehen. Durch eine einfache Aufnahme aus einem Hörsaal der Universität machte sie anschaulich deutlich, wie schwierig die Akustik (selbst für gut Hörende) vielfach ist. Wenn man bedenkt, dass unsere Gesellschaft altert und dass dabei die Zahl der Hochbetagten weiter zunimmt, ahnt man, dass dieser Aspekt der Barrierefreiheit sukzessive an Bedeutung gewinnen wird. Ähnliches dürfte für Sehbehinderungen gelten.

„Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein“, sagte Hans Jörg Rothen von der Bertelsmann Stiftung in derselben Veranstaltung. Erfreulicherweise bleiben viele ja auch bis ins hohe Alter fit. Es geht bei der Gestaltung einer möglichst barrierearmen Umwelt eben nicht um ein „Alles oder Nichts“, sondern darum, vermeidbare Barrieren, Schranken, Hindernissen und Stolpersteine zu vermeiden. Wenn die Zahl stimmt, dass erst drei bis vier Prozent unserer Wohnungen in Nordrhein-Westfalen barrierefrei sind, ist die Dimension der Aufgabe klar - und auch ihre Dringlichkeit, denn schon 2030 wird ein Drittel der Deutschen älter als 60 Jahre sein.

„NRW.lebt“ hat in Bielefeld auch gezeigt, dass es bereits Wohnungsbauunternehmen und Genossenschaften gibt, die mit großer Sensibilität ihre Bestände auf den demografischen Wandel einstellen. Und dass Barrierefreiheit natürlich auch notwendig ist, um den Anspruch auf Inklusion mit Leben zu füllen. Davon profitieren alle, nicht nur Menschen jeden Alters mit Handicap, sondern auch Eltern mit Kinderwagen, Radfahrer, Nutzer von E-Scootern und Skater. Da wird das Thema dann auch wieder trendy und „sexy“. Das meint

Ihr

Michael Arns, Vizepräsident der
Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
arns@aknw.de 


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