Komplexes Stück Stadtgeschichte

Es ist in der Regel die Mischung von Alt und Neu, die das Bild deutscher Innenstädte prägt. Die gilt auf alle Fälle für das Zentrum Bonns zwischen Bahnhof und Marktplatz, in dem sich Altbaubestände meist aus der Zeit um 1900 und die unscheinbare Architektur der Nachkriegsjahrzehnte abwechseln.

04. November 2022von Frank Maier-Solgk

Hier wie anderorts ist dieses Zentrum Fußgängern (und dem Konsum) vorbehalten, und typisch sind auch die Beispiele einer Kaufhausarchitektur aus den 1980er Jahren, die wenig Rücksicht auf ihre Umgebung nahm. Eine positive Ausnahme vor allem im Hinblick auf seine Aufenthaltsqualität bildet ein schmaler, langgestreckter Doppelplatz (Bottler-/Mülheimer Platz) am nördlichen Rande des Viertels, an dem das ehemalige Bonner Stadthaus die dominierende Rolle einnimmt.  Entworfen hatte den Ursprungsbau der unter anderem in Berlin und Leipzig, vor allem aber in Süddeutschland tätige Architekt und Hochschulprofessor German Bestelmeyer. Bestelmeyer (1874-1942), der in den 1930er Jahren bei den Nationalsozialisten zu hohen Titeln („Reichskultursenator“) und Ehren kam (Hitler ordnete anlässlich seines Todes ein großes Staatsbegräbnis in München an), realisierte in seiner Karriere eine Vielzahl von heute noch existierenden Verwaltungsgebäuden, wobei sein heimatverbundener architektonischer Stil sich als ebenso erfolgreich wie auch politisch flexibel genug erwies, um auch der Ideologie der neuen Machthaber zu entsprechen.  

In dem Bonner Gebäude aus den 1920er Jahren ist die Pointe jedoch weniger die Gestaltung der Hauptfassade, die sich in historisierender Weise an die fürstlichen Residenzbauten der Stadt anlehnt und seitlich durch zwei viergeschossige Ecktürme begrenzt wird. Positiv ist vor allem die heute spürbare platzbildende Wirkung einzuschätzen, die durch einen zurückversetzten Gebäudeteil erzielt wird, der überdies torartig überbaut wurde. Eine „angenehme Unterbrechung der großen Linien“ und eine „reizvolle Belebung der Gesamtanlage“ durch diesen Rücksprung bescheinigte die Kritik dem Gebäude schon zur Entstehungszeit. Auch die neuere Baugeschichte das „Alten Stadthauses“ ist aufschlussreich, insofern sie grundsätzliche Fragestellungen der Stadtentwicklung widerspiegelt: Anfangs der 2000er Jahre verfolgte die Stadt Pläne zu einem Verkauf des Grundstücks; man dachte an den Abriss des Gebäudes und die Errichtung neuer Verkaufsflächen.  

Aus Protest dagegen bildete sich eine Bürgerinitiative, die nach öffentlichen Diskussionen zwischen den politischen Fraktionen, Investoren und Kulturschaffenden schließlich den Erhalt des denkmalgeschützten Altbaus erreichte. Man beschloss daraufhin einen Umbau und eine Erweiterung zu einem „Haus der Bildung“.  

2008 wurde ein Architektenwettbewerb durchgeführt, den das Büro Kleyer, Koblitz, Letzel, Freivogel (Berlin) gewann. Kernstück war zum einen der Umbau des Hauptgebäudes, dessen beiden Innenhöfe zu einem geschossübergreifenden Lese- und Lichthof zusammengefasst wurden, um den sich die Freihandbereiche der Stadtbibliothek und die Lehrräume der VHS gruppieren. Zum anderen erfolgte ein Anbau, der als repräsentatives Entreegebäude mit barrierefreiem Zugang fungierte. Großflächige Fenstereinschnitte und die „aufgebrochene“ Fassade setzen nach außen ein sichtbares Zeichen der Erneuerung. Andererseits erweist der Anbau dem Altbau durch Traufhöhe, die Weiterführung der Fassadengliederung mit den Gesimsen und den grau gebrannten Ziegeln erkennbar Referenz. Die Öffnung zum Platz leistet ein Café mit Außenplätzen.  

Heute ist das „Haus der Bildung“ mit Stadtbibliothek, Volkshochschule und Literaturbüro ein viel frequentiertes Zentrum des städtischen Lebens, das wichtige urbane Funktionen ausübt und zur Belebung der Innenstadt „nach Ladenschluss“ erheblich beiträgt. Das Alte Stadthaus Bonns - ein komplexes Stück Stadtgeschichte mit gutem Ausgang.

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