Retrospektive: Marlene Zlonicky (1932 - 2011)

Marlene Zlonicky (1932 - 2011): Für einen lebendigen Stadtraum

Als Sachwalterin der Lebensfähigkeit gewachsener Stadtkerne war die Versöhnung zwischen dem Bewahren des Alten und dem Wagnis des Neuen ihr zentrales Anliegen. Die Jugend der in Moers geborenen Architektin prägten die Vertreibung aus dem schlesischen Liegnitz, wo ihr Vater Stadtbaurat gewesen war, und das Leben als vaterlose Flüchtlingsfamilie in Kassel. Zum Zeitpunkt ihres Studiums an der TH Darmstadt war Stadtplanung kein eigenes Studienfach; der städtische Raum wurde dennoch das beherrschende Thema für sie und ihren Kommilitonen und späteren Mann Peter Zlonicky, angeregt durch ihren Lehrer Max Guther, der als Stadtbaudirektor in Ulm den dortigen Wiederaufbau wesentlich beeinflusste.

23. Mai 2011von Dr. Gudrun Escher

Das Leitmotiv der frühen 1960er Jahre war es, den Neubeginn mit hohem künstlerischem Anspruch zu füllen, zunächst von Darmstadt aus und dann von 1966 bis 1979 im gemeinsamen Büro in Essen. Gutachten, langwierige Planungsprozesse und der Termindruck von Wettbewerben bestimmten fortan das Familienleben in einem Metzendorf‘schen Haus in der Semperstraße. Marlenes großes zeichnerisches Talent – das in ihren letzten Lebensjahren in ein wachsendes malerisches Werk mündete – öffnete das Tor zum Erfassen von Atmosphären in einer stadträumlichen Umgebung mit all‘ ihren Prägungen, ihren Gerüchen und Geräuschen und den nachwirkenden Relikten der Vergangenheit. So wurde Marlene Zlonicky zu einer Wegbereiterin der Protestbewegungen der 1968er mit ihrer Kritik an wachsender Maßlosigkeit von Neubaukonzepten bis in die Provinz.

genius loci war ihr Hauptanliegen

Ob in Lüdinghausen-Seppelrade oder in St. Hubert bei Kempen, der genius loci war ihr Hauptanliegen. Für die Stadt Kempen gelang es, im Zuge eines Gutachterverfahrens den Alleenring um die Altstadt zu retten mit Hilfe einer von Marlene Zlonicky konzipierten Ausstellung: Das Vorführen „Was wäre wenn..“ in Fotos und Zeichnungen öffnete den Bürgerinnen und Bürgern die Augen und bewahrte sie davor, ihre Stadt überzogenen Verkehrsplanungen zu opfern. Diesen kämpferischen Impetus hat Marlene Zlonicky sich bewahrt auch nach ihrem Umzug nach Berlin ins Hansaviertel, für dessen angemessene Würdigung sie sich unermüdlich einsetzte. Bis zuletzt blieb sie streitbar um Stadtlandschaften willen, die den Menschen Raum geben.

Deutscher Werkbund würdigt ihr Lebenswerk
2003 würdigte der Deutschen Werkbund ihr Lebenswerk mit der Ehrenmitgliedschaft. Für ihre eigenständige Arbeit nach 1980 stehen insbesondere zwei Platzgestaltungen, der Große Markt in Xanten und die Domsheide in Bremen. Hier ist der Stadtraum zwischen Rathaus- und Domplatz eigentlich nur ein Verkehrsknotenpunkt mit Straßenbahnlinien. Mit ganz einfachen, subtilen Mitteln bekam er ein neues Gewicht: Alte Bordsteine, längs aufgespalten und in ihrer unterschiedlichen Länge quer aneinander gereiht, heben als glänzendes Band das bewegte Liniengeflecht der Schienenstränge vom Normpflaster des Platzes ab. So wurde das Faktische künstlerisch aufgeladen und zum Sprechen gebracht. 

Während diese Gestaltung erhalten ist, wurde die weit umfangreichere in Xanten in einem Akt von Barbarei den Verlockungen öffentlicher Fördergelder für eine – nicht notwendige - Platzerneuerung geopfert. Hier fehlte es an allem: An Verständnis für den Platz und seine künstlerischen Elemente, an dauerhafter Pflege und an Respekt vor der kreativen Arbeit. Marlene Zlonicky wurde nicht befragt, als man 2009 daran ging, für den Landeswettbewerb „StandortInnenstadt“ neue Pläne zu schmieden, und kam erst ins Spiel im Zuge eines Bürgerbegehrens gegen diese Pläne.

Xanten - Platzerneuerung ohne ihre Beteiligung
Einen Urheberrechtsprozess anzustrengen, fehlte ihr jedoch bereits die Kraft. Was 1986 noch hoch gelobt wurde und international in der Fachpresse Anerkennung fand, galt jetzt nur noch als Schrott: Die Überbauung vorhandener öffentlicher Toiletten im Untergrund – Relikte eines Bunkers – mit sanft ansteigener, terrassierter Pflasterung, begleitet von eigens ausgesuchten und behauenen Basaltsteinen, und aus der obersten Terrasse heraus wachsende gläserne Flügel, deren Entwurf der Künstler Martin Zuska beisteuerte, als Regenschutz für zwei Treppen nach unten. Dafür sollte ein Bühnenbauwerk aus Beton her, so hoch wie die Häuser um den Markt, und die Rotbuchen, die die Dachlandschaft ringsum so harmonisch ergänzen, sollten modischen Schirmplatanen weichen. Der Bürgerprotest konnte die Bäume erhalten und die große Bühne verhindern, nicht jedoch „Plan B“ mit einem kruden Bühnenpodest mit Glasabsturzsicherung über der neuen Toilettentreppe an Stelle des Zlonicky‘schen Ensembles aus Stein, Stahl und Glas. Dieses Podest steht jetzt allen im Wege und schafft es nicht, dem öden Platz eine Seele zu geben, zumal auch die Baumreihe an der östlichen Schmalseite geopfert wurde und als Raumkante fehlt.

Bei aller Enttäuschung hätte Marlene Zlonicky, wenn sie das traurige Ergebnis sehen könnte, vielleicht noch Freude an der alten Marktpumpe: Sie sollte Wasserspielen weichen, wird aber künftig, so das Versprechen, wieder mit Wasser versorgt. Dann gäbe es wieder fröhlichen Kinderlärm auf dem Markt.

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