Transdiziplinär denken und arbeiten!
Zwei Wochen, 130 Veranstaltungen mit über 200 Akteurinnen und Akteuren: Die erste „Biennale der urbanen Landschaft“ im Ruhrgebiet, kurz „lala.ruhr“, sorgte vom 10. bis 24. September am Wissenschaftspark in Gelsenkirchen für einen lebendigen Austausch von Stadtmachern und Studierenden zur weiteren städtebaulichen Entwicklung der Metropole Ruhr. „Es geht uns um die gebaute reale Welt, aber auch um digitale Planungen und Visionen“, erklärte Sebastian Schlecht, mit Melanie Kemner Gründer der lala.ruhr, im Rahmen der Abschlusspräsentation am 23. September. – Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen unterstützte die lala.ruhr als ideeller Partner.
„Zukunft kann keiner alleine, das können wir nur zusammen.“ Diese Aussage von Sebastian Schlecht zog sich als Grundhaltung des urbanen Festivals. In zwei intensiven Arbeitswochen befassten sich vor allem Studierendenteams mit der Frage, wie die Transformation des Ruhrgebiets vorangebracht werden kann. Mit dieser weitgefassten Aufgabenstellung befassten sich Gruppen um Ute Aufmkolk (Prof. für Entwerfen Freiraumplanung TH OWL/Höxter), Anne Söfker-Rieniets (RWTH Aachen, Masterstudiengang „Transformining City Regions“) und Architektin Susanne Priebs (TU Dortmund im Fachgebiet Raumplanung). „Wir haben uns der Aufgabe im Stehgreif genähert – und dabei ist eine breite Vielfalt von Ideen herausgekommen“, erklärte Anne Söfker-Rieniets. Eine Stärke des Konzeptes sei die Interdisziplinarität der Arbeit gewesen. Diese Herangehensweise passe grundsätzlich sehr gut zur Themenwelt Ruhrgebiet, wo in jede städtebauliche Planung eine Vielzahl von Parametern einfließe.
Die acht Studierendengruppen befassten sich u.a. mit konkreten Vorschlägen zur Entwicklung des Gelsenkirchener Stadtteils Ückendorf bzw. der Bochumer Straße, an welche der Wissenschaftspark Gelsenkirchen angrenzt und die seit vielen Jahren ein städtebauliches Fördergebiet ist. Es ging aber auch um Visionen für die Transformation des Ruhrgebiets von einer „schwarzen zu einer grünen Industrieregion“, um die Verkehrswende im Sinne autofreier Straßenzüge und um städtebauliche Visionen.
Diskussion zur Zukunft der Ausbildung
In einer lebhaften, von Rainer Nagel (Vorsitzender Bundesstiftung Baukultur) moderierten Diskussion tauschten sich Landschaftsarchitekt Thomas Dietrich (Landesvorsitzender bdla nrw), Architektin Susanne Priebs (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Städtebau TU Dortmund), Anna Rodermund (Raumplanerin, Architects for future im Ruhrgebiet) und Stadtplaner Markus Lehrmann (HGF Architektenkammer NRW) über die aus ihrer jeweiligen Perspektive notwendigen Weiterentwicklung des Berufsstandes und der Hochschulausbildung aus.
„Wir müssen hin zu einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen“, forderte Anna Rodermund für Architects for future. Das könne nur gelingen, wenn im Studium dazu ein fundiertes Fachwissen vermittelt wird. Notwendig sein eine enge Zusammenarbeit mit dem Handwerk, die bislang fehle. „Die Ausbildung hört in der Hochschule nicht auf“, unterstrich Susanne Priebs. Die Komplexität des Aufgabenfeldes müsse in der Praxis vertieft werden, sodass die geforderte Praxiszeit etwa für Architekt*innen absolut notwendig und sinnvoll sei. Markus Lehrmann unterstrich die Bedeutung einer fundierten Ausbildung, von der Schule über eine Ausbildung bis hin zum Studium. „Architektinnen und Architekten sind die Spezialisten für eine ganzheitliche Gestaltung“, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer NRW. Auf dieser Basis finde zunehmend eine Spezialisierung statt, die in interdisziplinäre Teams einfließen könne.
„Wir setzen uns dafür ein, dass massiv weniger neu gebaut wird“, erklärte Anna Rotermund für Architects for future. Dass diese Haltung aktuell in einer breiten (Fach-)Öffentlichkeit auf Widerhall und Unterstützung trifft, sei ein enormer Erfolg, betonte Markus Lehrmann. Ein „Riesenschritt“ sei die Einführung des QNG-Standards, der dazu führen werde, dass in voraussichtlich zwei Jahren eine CO2-Bilanz Pflicht werde. „Dann wird ganz automatisch mit dem Bestand gebaut, denn die graue Energie bringt eine positive Bilanz.“ Die gegenwärtige Krisensituation habe ein Fenster geöffnet, zu schnellen Handlungsfortschritten zu kommen. Dieses gelte es mutig zu nutzen.
Rainer Nagel, der Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, warb für eine stärkere Interdisziplinarität. Für die Entwicklung metropoler Regionen, wie die „lala.ruhr“ sie anstrebe, sei es unerlässlich, Bereiche wie Verkehrsplanung, Stadtsoziologie, Wasserwirtschaft, Bauwirtschaft und das Handwerk einzubinden. „Wir brauchen die inhaltliche Bandbreite, aber auch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, um schlagkräftige Teams zu bilden“, bekräftigte auch Susanne Priebs.
Raus aus der Bubble
Zahlreiche Wortbeiträge aus dem Publikum zielten darauf ab, die „Phase 0“ stärker auszubauen und mit der Bürgerschaft ins Gespräch zu kommen. Dazu gehöre eine stärkere Transdisziplinarität, auch in der Ausbildung. Wichtig seien innovative Diskursformate wie die „lala.ruhr“, um in der Bürgerschaft Präsenz zu zeigen und um in Stadtteilen mit diesen Themen sichtbar zu werden, meinten viele Studierende. Ein Weg, den die Studierendengruppen in ihrer Arbeitswoche mit großem Engagement gegangen seien, resümierte Sebastian Schlecht als Veranstalter. Ein Ziel, das sie mitnehme, so Susanne Priebs von der TU Dortmund: „Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Themen, die sich in der Lehre heute umfassend wiederfinden. Wir wollen auch in der Lehre noch stärker nach vorne schauen.“
Einig zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Abschlusspräsentation der lala.ruhr, dass schon in der Schule verstärkt über Architektur und Gestaltung gesprochen werden müsse. „Das gilt auch für Fragen der Natur- und Freiraumgestaltung“, betonte Thomas Dietrich, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (bdla nrw). Markus Lehrmann verwies auf die Kampagne „Kammer in der Schule“ und den Kongress „Building Bildung“, den die Landesinitiative „Baukultur NRW“ am 17. und 18. November 2022 im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen durchführen werde und welchen die Architektenkammer NRW als Partnerin unterstützt.
„Unser Tun als Planende ist eine gesellschaftliche Aufgabe“, unterstrich Rainer Nagel zum Abschluss der Debatte. „Sowie man losgeht im öffentlichen Raum, muss das Visier weit offen sein. Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen!“
Ergebnisse der Arbeiten der acht Studierendengruppen:
Gruppe: „RuhrgeBEAT: The new industrial heart”
Den Klimawandel als größte Herausforderung müsse man aktiv bekämpfen, forderte die erste Gruppe von Studierenden. Industrie dürfe und müsse erhalten bleiben, aber grün werden. Ziel der Planung der Gruppe war es, fossile Energiequellen durch regenerative Energien zu ersetzen. Konkret wurde dies am Beispiel der Stadt Herne durchgespielt, die schon eine Vielzahl von regenerativen Energien nutze. Die Gruppe forderte einen Ausbau der Nutzung von Wasserstoff und Biomasse sowie neuer Solar- und Windparks entlang der Autobahnen. Eine wichtige Aufgabe sei es auch, die bestehenden Agrarlandschaften in vielfältige, erlebbare Bereiche weiterzuentwickeln. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„Soft is hard to break”
Nach einer SWOT-Analyse entwickelte die Gruppe vier Dimensionen, in denen Änderungen herbeigeführt werden müssten. Mit einer umfassenden Tool-Box wurden spezifische Instrumente und Maßnahmen beschrieben, die mehr Leben ins Quartier bringen könnten – von umgewandelten Kiosken als Austauschorte für Dinge und Dienstleistungen über „Spiel(platz)park(plätze)“ bis hin zu Mitfahrerbänken. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„Re-purposing the existing“
Die Gruppe verfolgte die Idee einer Verbindung der Industrieregion und „urban fabric“. Die Strategie der Gruppe umfasste mehr Grün in der Stadt und den Aufbau von Mikro-Algen-Farmen. Unter dem Slogan „From coalpot to greenpot“ zielte die Gruppe darauf ab, zeichenhafte Bauwerke für mehr Grün zu kreieren und damit ein neues Image von der Metropole Ruhr zu schaffen. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„Children of today – adults of tomorrow”
Die vierte Gruppe fokussierte auf die Kinder in der Region. Konkret wurde die Bochumer Straße untersucht, ein Stadtentwicklungsbereich im Gelsenkirchener Süden. In einer SWOT-Analyse wurden die Notwendigkeiten aufgezeigt, existierende Plätze für Kinder besser nutzbar zu machen, mehr Grün einzubringen und Autos zurückzudrängen, Lernplätze und Urban-Gardening-Bereiche zu schaffen und insgesamt die Sicherheit für Kinder zu erhöhen. „Eine kinderfreundliche Stadt ist auch für Erwachsene eine attraktive Stadt“, so die Überzeugung der Gruppe. Sie schlug vor, die Bochumer Straße für Autos zu sperren und stattdessen die Straßenbahn und einen Radweg besser auszubauen. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„One Park, one Community“
Auch Gruppe fünf bezog sich exemplarisch auf den Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf. In Stadtspaziergängen wurde untersucht, welche Herausforderungen bestehen, um den Stadtteil zu verbessern. Die Vision umfasste mehr Grün und damit Resilienz für den Stadtteil (Pocket-Parks, grüne Korridore, grüne Verbindungswege); sowie eine enge Verbindung der Grünzonen, unterstützt durch gemeinschaftsfördernde Aktivitäten. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„The RUVI App“
wurde von der sechsten Studierendengruppe entwickelt. Ihre Ausgangsthese lautete: In vielen Entscheidungsprozessen fehlt eine lokale Partizipation und eine offene Kommunikation mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb soll die „Ruhr-Vision-App“ mit konkreten Bildern, Karten und Visualisierungen auch für Laien verständlich machen, welche Stadtentwicklungsfragen vor Ort zur Diskussion stehen. Zudem soll die App einen leichten Weg bieten, selbst Input zu geben, Vorschläge zu machen, Wünsche zu äußern etc. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„Symbioscape – a polycentric, multilayered approach“
Die gesamte Ruhrregion wurde in den thematischen Ebenen „Landwirtschaft“, „Innovation“ und „Bildung“ untersucht. Übereinandergelegt ergab sich eine Strategie zur Schwerpunktsetzung in regionaler Verteilung. Im kleinen Maßstab müsse es darum gehen, Menschen zusammenzuführen und ein gegenseitiges Kennenlernen und Lernen anzuregen. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
„2 Forward, 1 back“
Der Weg von A nach B sei nicht immer ein direkter, weder in der Stadt noch in der Stadtplanung, so Studierendengruppe Nummer Acht. Die Gruppe zeichnete verschiedene Szenarien, die graue Gegenwart und eine grüne, inklusive, verbundene Zukunft; aber auch eine dystopische Variante. (Foto: © lala.ruhr/Ravi Sejk)
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