Vielfalt als Chance - Stadtplanertag befasste sich mit Zuwanderung, Migration und Flucht

Wir müssen lernen, die Veränderungen unserer Gesellschaft durch Migration als Bereicherung zu sehen!“ Prof. Rolf-Egon Westerheide, Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW und Vorsitzender des AKNW-Ausschusses „Stadtplanung“, moderierte den siebten Stadtplanertag der AKNW und hob hervor, dass Stadtplanerinnen und Stadtplaner insbesondere ihr Know-how zum Quartiersmanagement weiterentwickeln sollten, um die Bewältigung der starken Zuwanderung von Flüchtlingen konstruktiv mitgestalten zu können. Weit über 100 Stadtplanerinnen und Stadtplaner folgten am 5. November 2015 der Einladung der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen in das Haus der Architekten, um über Konsequenzen aus dem vermehrten Zuzug von Menschen anderer Kulturen für die Entwicklung der Stadt und der Stadtgesellschaft zu diskutieren. Unter den Gästen waren auch Vertreter der anderen Fachrichtungen und der Politik.

10. November 2015von Jan Schüsseler

Know-how der Planer ist gefragt

AKNW-Präsident Ernst Uhing wies in seiner Begrüßung auf die Aktualität des Themas hin. „Bei der Konzeption des Stadtplanertages hatten wir noch in erster Linie die Integration der bereits bei uns lebenden Migrantinnen und Migranten im Auge“, räumte Uhing ein. „Heute, nur wenige Wochen später, stellt sich diese Frage und Aufgabe angesichts der großen Zahl der Flüchtlinge in einem um ein Vielfaches größerem Umfang.“ Die Aufnahme und perspektivisch auch die Integration der Flüchtlinge als Zuwanderer seien Aufgaben, die unsere gesamte Gesellschaft angingen; „und an ganz zentraler Stelle auch uns Planerinnen und Planer“, hob Ernst Uhing hervor.

Was Deutsche und Türken unterscheidet

Einen überaus sympathischen Einstieg in das Thema ermöglichte die Journalistin und Bestsellerautorin Hatice Akyün aus Berlin, die mit Esprit und Humor die Integration ihrer aus Ostanatolien stammenden Familie im Deutschland der Siebziger Jahre beschrieb. Sie ging ausführlich auf die Unterschiede zwischen deutschen und türkischen Städten ein. „Deutsche gehen in Parks spazieren und erfreuen sich an gepflegten Blumenrabatten. Türken dagegen schätzen die Weitläufigkeit der Anlagen, da sie dort mit ihren Großfamilien gerne Grillpartys veranstalten“, verglich Akyün augenzwinkernd und ergänzte: „In Deutschland ist das Stadtleben sehr geordnet. Türkische Städte sind anstrengend, aber lebendig. Türken verbringen viel mehr Zeit auf der Straße als Deutsche!“ Akyün appellierte an die Gäste, Ängste vor Migrantinnen und Migranten abzubauen und anderen Kulturen mit Toleranz und Neugier zu begegnen. Als wichtigste Verpflichtung der Migranten bezeichnete sie das Erlernen der Sprache ihres Gastlandes. „Ich bin gerne in der Türkei, aber wenn ich auf der A 42 die Hochöfen von Duisburg sehe, weiß ich, dass dort meine Heimat ist“, gab Akyün lächelnd zu.

Fünf Thesen zur Migration
Dr. Ulrich Berding, Stadtforscher aus Hannover, überbrachte fünf Botschaften zur Migration als Thema der Stadtentwicklung. „Ohne Einwanderung gibt es keine Stadt“, lautete sein erstes, leicht nachvollziehbares Credo. Auch seine zweite Botschaft war deutlich: „Die städtische Gesellschaft ist geprägt von Diversität und Vielfalt.“ Dr. Berding wies im Weiteren nach, dass die Segregation in deutschen Städten deutlich weniger ausgeprägt sei als beispielsweise in Großstädten der USA. „Migration ist Chance und Ressource“ lautete sein viertes Statement, das er mit dem gegenüber der angestammten Bevölkerung niedrigeren Durchschnittsalter und der großen Zahl selbstständiger Migranten belegte. „Migration ist auch eine Aufgabe der Stadtplanung“, schloss Dr. Berding und wies auf die zahlreichen Aufgaben bei der Schaffung identitätsstiftender Räume, der Quartiersentwicklung, der Prozessgestaltung und der Aktivierung von Bewohnern hin.

Tausche Bildung für Wohnen

„Das tollste an Duisburg-Marxloh sind die Menschen, und die Vernetzung der Institutionen ist hier optimal!“ Mit diesen Statements stellte Christine Bleks, Vorstandsvorsitzende des Vereins „Tausche Bildung für Wohnen“, das in Kooperation mit örtlichen Schulen, Moscheen und kirchlichen sowie öffentlichen Einrichtungen durchgeführte Sozialprojekt vor. Das Prinzip ist so einfach wie einleuchtend: „Bildungspaten“ können in vereinseigenen Wohnungen kostenfrei wohnen, wenn sie sich zur Betreuung von benachteiligten Kindern verpflichten. Darunter sind zahlreiche Migrantenkinder. Als „Pate to go“ konnte für diese zusätzlich ein Rentner als Deutschlehrer gewonnen werden. „Wertschätzung, Offenheit und Transparenz sind unsere Grundsätze“, so Bleks, die ihr Projekt im Rahmen eines „Social Franchising“ gerne an anderer Stelle wiederholen würde.

Beiträge zur Stadtsicherheit

Eine gänzlich andere Annährung an das Thema Migration vollzog Thomas Rüth vom AWO Jugendhilfe Netzwerk in Essen. „Im Stadtteil Altenessen leben 6 000 Libanesen kurdischer Abstammung, die 16 Clans angehören. Viele sind organisierte Kriminelle. Neben Diebstahls- und Körperverletzungsdelikten sind aber auch Betteln und Prostitution weit verbreitet. Aus diesem Milieu zogen angestammte Bürger, aber auch andere Migranten fort“, führte Rüth aus und stellte das „Aktionsbündnis sicheres Altenessen“ vor, zu dem sich die AWO, die Polizei und soziale Einrichtungen zusammengeschlossen haben. Das Bündnis führt eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen zur raschen Verfolgung von Straftaten und zu ihrer Prävention aus. Nach mehreren Jahren intensiver Arbeit habe sich das Klima in Altenessen merklich gebessert, auch wenn am Vortag des Stadtplanertages eine libanesische Bande ausgehoben wurde, die als Schlepper illegaler Migranten tätig war. Es bleibe viel zu tun: „Zur sozialverträglichen Gestaltung des öffentlichen Raums  sollten Maßnahmen der städtebaulichen Kriminalprävention untersucht und umgesetzt werden“, schloss Rüth.

Ein „Recht auf Stadt“ für alle!

Prof. Pablo Molestina von der Peter Behrens School of Architecture und Architekt in Köln sowie Madrid hielt einen hochkarätigen Vortrag über den Einfluss der Migration auf die Stadtgestalt. „Migranten sind nicht Gäste oder Bürger zweiter Klasse, sondern Schicksalspartner“, führte Prof. Molestina aus und ergänzte: „Wir müssen Migration als Normalität erleben. Auch Migranten haben ein Recht auf Stadt!“ Anhand verschiedener eigener Projekte der Architektur und der Stadtplanung erläuterte er die Grundprinzipien des Stadtgefüges wie Nutzungsmix, Dichte, kleinteilige Körnung und Bewahrung des Bestands. „Weitere Merkmale erfolgreicher Stadtgestaltung sind das Vernetzungspotenzial neuer Strukturen und die Schaffung von Orten mit hohem Identifikationswert“, so Prof. Molestina. Schließlich zeigte er Selbstbauprojekte aus seiner ecuadorianischen Heimatstadt Quito, die in den vergangenen 50 Jahren um das zehnfache ihrer früheren Einwohnerzahl gewachsen ist. Für die dortigen Migranten werden in den bislang nicht besiedelten Schluchten der Stadt lediglich Fundamente und Sockel errichtet, die eigentliche Bebauung erfolgt in Eigenregie. „Wir brauchen Ankunftsräume als Grundlage der Integration“, lautete Prof. Molestinas Fazit.

Vorträge zum Download

Thomas Rüth: <link file:21806 download file>Aktionsbündnis sicheres Altenessen: Sicherheit im öffentlichen Raum - integriert angehen! (PDF)
Christine Bleks: <link file:21820 download file>Tausche Bildung für Wohnen (PDF)

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