Welches Maß an Schallschutz ist richtig?
Architektin A wendet sich an die Architektenkammer NRW mit der folgenden Rechtsfrage: „Ich habe ein Einfamilien-haus geplant und bauüberwacht. Die Bauherren verwei-gern die Abnahme mit der Behauptung, dass das Haus mangelbehaftet sei, da das Haus nicht den geschuldeten Schallschutz aufweise. Der Vertrag äußert sich nicht aus-drücklich zum geschuldeten Schallschutzniveau. Der im Haus ‚installierte‘ Schallschutz entspricht den Mindestan-forderungen nach DIN 4109. Haben die Bauherren Recht?“
Ja – zumindest dann, wenn auch sonst eine gehobene Bauweise vorliegt. Das OLG Schleswig hat in einem Urteil vom 25.08.2023, AZ: 1 U 85/21 (NJW-RR 2023, 1444 f.) entschieden, dass die Vereinbarung eines erhöhten Schallschutzes keiner ausdrücklichen Vereinbarung bedürfe, sondern sich auch aus den Umständen ergeben könne. Für die Frage, welcher Schallschutz bei der Errichtung einer Wohnung geschuldet sei, komme es entscheidend auf das „Vorstellungsbild der Parteien“ vom Bauwerk an.
Die Mindestanforderungen an den Schallschutz nach DIN 4109 seien dabei nicht in jedem Fall maßgeblich. Besondere Qualitätsanforderungen können sich nicht nur aus dem Vertragstext, sondern auch „aus erläuternden und präzisierenden Erklärungen der Vertragsparteien, sonstigen vertragsbegleitenden Umständen, den konkreten Verhältnissen des Bauwerks und seines Umfelds, dem qualitativen Zuschnitt, dem architektonischen Anspruch und der Zweckbestimmung des Gebäudes“ ergeben (OLG Schleswig, a.a.O., Rdnr. 21). In aller Regel erwarte der Bauherr einen „üblichen Qualitäts- und Komfortstandard“. Im konkreten Fall hätte der Beklagte (= Installateur) erkennen können, dass es sich um ein Haus in gehobener Bauweise handele und dass daher auch ein Schallschutz geschuldet sei, der gehobenen Anforderungen genüge. Anhaltspunkte für das einzuhaltende Schalldämm-Maß könnten die Schallschutzstufen II und III der VDI-Richtlinie 4100 oder das Beiblatt 2 zur DIN 4109 liefern. Die Mindestanforderungen nach DIN 4109 legten hingegen nur die Mindestanforderungen an den Schallschutz im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Bauordnungsrechts zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben fest.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Schleswig steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 2007, 2983). Der geschuldete Schallschutz ist durch umfängliche Auslegung des Vertrages zu ermitteln. Zumindest bei Wohnräumen eignen sich die Schalldämm-Maße der DIN 1409 in aller Regel nicht als Anknüpfungspunkte für die Feststellung des geschuldeten Schallschutzes, da sie nur vor unzumutbaren Belästigungen durch Schallübertragung schützen sollen. Eine von der gewählten Bauausführung unabhängige, allgemein anerkannte Regel der Technik über verbindlich einzuhaltende Schallschutzwerte gibt es nicht (OLG Hamburg IBRRS 2024,0536).
Planende sind folglich gut beraten, der Ermittlung des im Einzelfall geschuldeten Schallschutzes ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Die Entscheidung zeigt, wie „schnell“ man höheren Schallschutz als Mindestmaß schuldet. Planende sollten sie sich eng mit den Bauherren austauschen und sie über die verschiedenen – technisch möglichen – Schallschutzniveaus ausführlich beraten.
Dies gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der in der letzten Zeit überbordenden Baukosten. So kann es dem Wunsch der Bauherren entsprechen, Kosten zu Lasten des Schallschutzes zu reduzieren und eine Lösung unterhalb des in einer anerkannten Regel der Technik vorgesehenen Schallschutzniveaus zu wählen. Hier ist seitens des Planers besondere Vorsicht angeraten: Will er einer späteren Haftung entgehen, dann muss er die Bauherren umfänglich über die Risiken und Gefahren eines solchen Vorgehens aufklären. Vgl. hierzu den Praxishinweis PH 25 unter www.aknw.de/berufspraxis/berufspraxis/praxishinweise.
Dies zu erleichtern, ist eines der Ziele der von der Bundesarchitektenkammer und den Länderkammern lancierten Initiative „Gebäudetyp-e “. Mit Hilfe dieses in der jeweiligen Landesbauordnung einzuführenden Gebäudetyps soll es gelingen, den Beteiligten das risikolose Weglassen von in anerkannten Regeln der Technik geforderten Standards zu erleichtern und so die Baukosten zu reduzieren. Es ist damit zu rechnen, dass dies auch für den Schallschutz möglich sein wird.
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