Neue Hochschulbauten in NRW
Die Zahlen sprechen für sich: 768 353 Studierende haben im Wintersemester 2016/17 die Universitäten und Hochschulen des Landes besucht – ein neuer Höchststand. Der Haushalt 06 Wissenschaft und Kultur, dessen Hauptanteil (ca. 5,6 Milliarden Euro in 2018) für den laufenden Betrieb der Hochschulen vorgesehen ist, ist der zweithöchste Landesetat. Und die Bedeutung von Bildung und Forschung gehört ohnehin zum wiederholt artikulierten Credo der Politik.
Von der Architektur von Hochschulbauten ist dennoch allenfalls am Rande die Rede. Abgesehen von Bibliotheksbauten betrachtet man den Typus wohl doch meistens als reinen Funktionsbau, der vor allem technischen bzw. wissenschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden hat. Wie aber sieht es mit der Aufenthaltsqualität aus, oder mit der Motivationskraft der Architektur für Studentinnen und Studenten?
14 Universitäten gibt es in NRW, 16 öffentlich-rechtliche Fachhochschulen und sieben staatliche Kunst und Musikhochschulen. Die meisten dieser Einrichtungen stammen aus den späten 1960er und den 1970er Jahren, als das sozialdemokratische Schlagwort „Bildung für alle“ gerade dem Land NRW einen Boom an neuen Einrichtungen bescherte. Entsprechend hoch ist aktuell der Erneuerungsbedarf, der Bedarf an Asbestreinigungen, Brandschutzaufrüstungen oder schlicht Materialerneuerungen. Die Aufgabe gleicht der des Sisyphos: 2015 hat die damalige Landesregierung ein 5,2 Milliarden Euro umfassendes Sanierungsprogramm für die Hochschulen und die medizinischen Einrichtungen aufgelegt, das noch bis 2020 läuft. Es ist absehbar, dass eine Fortsetzung erforderlich sein wird.
Neuer Campus auf alten Gleisanlagen
Nicht zuletzt entwickelt sich auch die Forschungs- und Hochschullandschaft weiter. Vor kurzem fertig gestellt wurden zwei komplett neue Campusanlagen – in Düsseldorf die neue Hochschule „HS Düsseldorf“ und in Mülheim die neue „Hochschule Ruhr West“. Beide Hochschulprojekten haben gemeinsam, dass sie nicht mehr außerhalb der Stadt auf der grünen Wiese errichtet wurden, sondern innerhalb urbaner (Rand-)Situationen, für die man sich durch die neue akademische Nachbarschaft belebende Impulse verspricht. Fünf separate Neubauten sowie zwei unter Denkmalschutz stehende, nun umgenutzte Ziegelbauten des ehemaligen Schlachthofs bilden den 5,4 Hektar großen Campus der Hochschule Düsseldorf im Stadtteil Derendorf. Der Ort ist historisch geprägt, diente der Schlachthof doch im Zweiten Weltkrieg als Sammelstelle, in der jüdische Bürger vor der Deportation in Vernichtungslager eingesperrt wurden. Eine kleine Gedenkstätte mit historischen Fotografien erinnert an diese dunklen Jahre.
Mit einer Bruttogeschossfläche von 108 600 qm und Baukosten von 224 Millionen Euro ist der neue Campus eines der größten Hochschul-Einzelprojekte in NRW (Architekten: Nickl & Partner; Landschaftsarchitekten: RSLA, Rainer Schmidt, Landschaftsarchitekten GmbH, München). Bibliothek, Mensa und Hörsaalzentrum bilden durch ihre Lage den Campusplatz, zu dem sich auch die drei Institutsgebäude mit ihren Kopfbauten orientieren. Für ein einheitliches Erscheinungsbild sorgen die Fassaden aus glänzendem Alluminium, deren Struktur durch bewegliche Sheds veränderbar ist. Über diese Fassadengestaltung gehen die Meinungen auseinander, doch strahlt die gewählte, technizistische Anmutung eine zukunftsorientierte Haltung aus, die durch erdgeschossige Verglasungen ein angenehmes Maß an Offenheit gewinnt. Ein Pluspunkt des Campus ist ferner die Gestaltung des weitgehend begrünten Freiraums. Dieser bildet mit Abstufungen, die zum Sitzen einladen, oder auch der Mensa mit Außensitzbereich einen einladenden kommunikativen Mittelpunkt. Das auch städtebaulich gut integrierte, von mehreren Seiten zugängliche Gelände der Hochschule bietet jedenfalls erkennbar gute urbane Entwicklungsperspektiven.
Neugründung an der Ruhr
Eine echte Neugründung ist die Hochschule Ruhr West, eine Fachhochschule mit ingenieurwissenschaftlicher Ausrichtung, deren Hauptsitz in Mülheim (Zweitstandort Bottrop) im Sommer 2016 eröffnet wurde. Auch hier war der Standort ein ehemaliges Bahnareal, das relativ zentrumsnah entlang einer Ausfallstraße liegt. Das neue Gebäudeensemble besteht aus mehreren zwei- bis sechsgeschossigen Baukörpern, die sich auf einer dreieckig zugeschnittenen Fläche von 43 000 qm verteilen: vier Institutsgebäude, Mensa, Parkhaus, Hörsaalzentrum und als Entree der würfelförmige Bibliotheksbau, der sein Umfeld überragt. Auch hier sind die Einzelgebäude (BGF: 62 000 qm) um eine zentrale Freifläche platziert. Konträr ist die Anmutung des Ensembles: Die Baukörper vermitteln mit klaren Raumkanten, leicht unterschiedlich hellen Klinkerfassaden, markant unregelmäßig gesetzten großflächigen Fenstern und glutroten Sonnenschutzlamellen (Entwurf: Arbeitsgemeinschaft HPP/ASTOC) den Eindruck von rationaler Solidität mit einem Schuss farblicher Expressivität. Insgesamt ist ein Quartier entstanden, das sich gegenüber seinem gründerzeitlichen Wohnumfeld in Material und Volumen angepasst zeigt.
Alle Gebäude wurden in Massivbauweise aus Stahlbeton errichtet. Die zweischaligen, hinterlüfteten Außenwandkonstruktionen bestehen aus Stahlbeton, Mineralwolle, einer Luftschicht und dem Ziegelmauerwerk. Ob auch die Freifläche (Planungsgruppe Oberhausen), die weniger auf Grün setzt, aber Brunnen-Wasserspiele bereithält, ihre kommunikativen Aufgaben erfüllt, wird man sehen; die Sitzbänke aus Beton zeigen bereits Verschleißerscheinungen.
Neubaumaßnahmen im großen Stil erfolgen auch in Aachen, wo auf dem Campus West schon 2009 mit der ersten Ausbaustufe begonnen wurde. Inzwischen sind hier sechs Forschungscluster realisiert worden, zehn weitere Cluster sind vorgesehen. In Wuppertal (Campus Grifflenberg) wie in Mönchengladbach (Neubau Textilakademie NRW, Architekten jeweils sop) sind oder werden demnächst neue Einrichtungen eröffnet.
Großsanierung in Bielefeld
In großem Maße (Gesamtinvestition über 1 Milliarde Euro ) erneuert auch Bielefeld seine Universität. Der 40 Jahre alte Hauptgebäudekomplex, mit einer Brutto-Grundfläche von rund 314 000 qm das größte zusammenhängende Universitätsgebäude Deutschlands, wird seit 2015 in einzelnen Abschnitten kernsaniert. Das Bauwerk soll auch künftig durch eine große Halle als verbindendes Element und zentraler öffentlicher Ort geprägt sein (Meyer Architekten und RKW+). Ähnlich wie im Fall der Ruhr Universität Bochum will man an der kammartigen Grundstruktur der Universität und seiner Philosophie festhalten. „Fortentwicklung von Bewährtem und Ergänzung von mittlerweile Notwendigem“, heißt es beim Bauherrn, dem BLB NRW, wobei die ursprünglichen Pläne im Hinblick auf Risikominimierung noch einmal überarbeitet wurden.
Weitgehend abgeschlossen sind Planungen für vier Neubauten, darunter das Gebäude X für Geisteswissenschaften, das bereits fertig gestellte Gebäude CITEC, ein weiteres Physik-Forschungsgebäude sowie ein integriertes Forschungszentrum, das sich an Gründerunternehmen richtet, welche „hochschulnahe Räumlichkeiten benötigen“. Mit dem Campus Bielefeld entsteht einer der modernsten Hochschulstandorte Deutschlands, der erstmals Universität und Fachhochschule auf einem Campus vereint.
In architektonischer Hinsicht interessant sind auch manche kleinere Institutserneuerungen. Auf die speziellen Anforderungen der Nanoforschung hin ausgerichtet ist ein gerade fertig gestelltes neues Wissenschaftszentrum in Münster, dessen schwingungsfreie Labore besondere Fundamentarbeiten erforderlich machten. In dem angeschrägten und kompakten Bau (rund 8000 qm BGF, Kosten: 46 Mio., davon Landeszuschuss 29 Mio. Euro) werden demnächst rund 100 Forscher verschiedener Disziplinen arbeiten.
Die in die Jahre gekommene Sporthochschule Köln wird demnächst – nach vielen Verzögerungen – als neues Aushängeschild den Neubau eines Naturwissenschaftlich-Medizinischen Instituts auf dem Campus am Sportpark Müngersdorf eröffnen können (Entwurf: kadawittfeldarchitektur). Der langgestreckte, mit einer Aluminium-Lamellenstruktur verkleidete Bau überrascht durch eine ungewöhnliche Geometrie: Ein dreigeschossiger, in Anlehnung an das benachbarte Radstadion leicht gebogener Baukörper wird von zwei weiteren, geraden und überkragenden Geschossen überragt (11 315 m2 BGF); mit den überdachten Flächen an Längs- und Schmalseite markieren sie elegant die Eingangssituation.
Last not least: Bald nicht mehr Zukunftsmusik wird die die neue Hochschule für Musik und Tanz im Kölner Kunibertsviertel sein. Den internationalen Wettbewerb haben HPP Architekten mit einem Entwurf gewonnen, der den Bestandsbau um einen wiederum aluminiumverkleideten Baukörper zu einer Art innerstädtischem Campus erweitert – ein Stück „Stadtreparatur“, die einmal mehr den offenkundigen Trend zum Ausdruck bringt, mit erneuerten akademischen Einrichtungen Innenstadtquartiere aufzuwerten.
Teilen via