Architektentag NRW: „Klimaschutz braucht Baupolitik!“
Die Energiewende braucht einen verlässlichen, langfristigen baupolitischen Rahmen! Dies ist eine der Kernaussagen des „Architektentags NRW 2012“, zu dem sich am 30. August 2012 in Düsseldorf mehr als 400 Architekten, Stadtplaner, Baupolitiker und Planer aus den Kommunen trafen. „Wer heute Klimaschutz sagt, muss damit auch die substanzielle energetische Optimierung unserer Wohn-, Büro- und Gewerbebauten meinen“, unterstrich der Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Hartmut Miksch, in seinem Eingangsstatement. Er forderte die Landes- und die Bundesregierung dazu auf, Anreize zu schaffen, um großflächig energetische Sanierungsmaßnahmen anzuregen. Insbesondere müssten Bundestag und Bundesrat sich im Vermittlungsausschuss endlich über die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen verständigen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zeigte sich in ihrer Grundsatzrede vor den Architektinnen und Architekten des Landes optimistisch: „Eine zentrale Erkenntnis vieler Gespräche mit den Architekten und Planern sowie mit der Bauwirtschaft in unserem Land über die bauliche Umsetzung der Energiewende war, dass es eine breite optimistische Grundstimmung gibt, die mir sagt: Wir können das schaffen!“
Die Ministerpräsidentin hob die große Bedeutung eines vorausschauenden Städtebaus hervor. Die bauliche Sanierung des Gebäudebestandes und die Modernisierung auch öffentlicher Bauwerke sei ein unverzichtbarer Bestandteil der angestrebten Energiewende. „Architektinnen und Architekten müssen mit innovativen Ideen praxistaugliche Lösungen anbieten und umsetzen“, appellierte Hannelore Kraft an die Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner im Auditorium. „Unsere Gesellschaft benötigt Ihr Know-how und Ihre Erfahrung - sonst bleiben die Strategien und Konzepte der Politik Gedankenspiele.“
In ihrer ersten Rede vor den nordrhein-westfälischen Architektinnen und Architekten unterstrich die Ministerpräsidentin des Landes die Bedeutung einer qualitätvollen städtebaulichen Entwicklung. Großen Applaus des Auditoriums erhielt sie bei der Aussage, man dürfe die energetische Sanierung des Gebäudebestandes nicht auf die Dämmtechnologie beschränken. "Wir müssen darauf achten, dass wir unsere Gebäude dabei nicht verunstalten", warnte Hannelore Kraft. Für das Jahr 2013 kündigte sie einen neuen Landesentwicklungsplan an, der auch Vorgaben für den Klimaschutz enthalten werde.
AKNW fordert Masterplan für die Energiewende
Der Präsident der Architektenkammer NRW, Hartmut Miksch, bekräftigte die Bereitschaft der nordrhein-westfälischen Architektinnen und Architekten, sich für das gemeinsame Ziel des baulichen Klimaschutzes einzusetzen. Dazu benötigten aber nicht nur Planer, sondern auch Investoren und Bauherren einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen: „Nordrhein-Westfalen und auch der Bund brauchen einen Masterplan für die Energiewende, der mittel- und langfristige Ziele definiert, überprüfbare Zwischenschritte festlegt und Programme auf den Weg bringt. Ein solcher Masterplan ist ein Generationenprojekt und muss unabhängig von politischen Großwetterlagen betrieben werden“, forderte Miksch.
Der Präsident der Architektenkammer ging auch auf die Frage der Entwicklung des Mietwohnungsmarktes ein. „Die Modernisierung des Bestandes muss auch im Bereich des geförderten Wohnungsbaus konsequent weiter verfolgt und ausgebaut werden“, forderte Hartmut Miksch. Trotz der seit Jahren steigenden Nachfrage nach neuem, demografiefestem und preisgünstigem Wohnraum habe sich die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in NRW in den Jahren 2000 bis 2010 nahezu halbiert und lag bei nur noch rund 33.000 Wohneinheiten. Dies habe in den Wachstumsregionen der Rheinschiene und in den Universitätsstädten des Landes bereits zu erheblichen Wohnungsengpässen geführt. Zudem seien lediglich zwei bis drei Prozent der rund 8,5 Millionen Wohnungen in Nordrhein-Westfalen mit einem barrierefreien oder barrierearmen Standard ausgestattet. „Wir müssen die notwendige energetische Sanierung des Wohnungsbestandes nutzen, um nicht nur klimagerecht, sondern auch demografiefest umzubauen“, appellierte Hartmut Miksch an Politik und Wohnungswirtschaft. Er plädierte dafür, insgesamt in der Analyse stärker quartiersbezogen zu denken. „Wir müssen wegkommen vom starren Blick auf die Bewertung des Energieverbrauchs des Einzelbauwerks und vielmehr eine quartiersweise Betrachtung vornehmen“, empfahl der Präsident der Architektenkammer NRW.
Bauminister Groschek: Konzentration auf geförderten Wohnungsbau
Der nordrhein-westfälische Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, Michael Groschek, stimmte diesem Anliegen prinzipiell zu. „Wir verbinden Klimaschutz mit sozialem Augenmaß. Deshalb fördern wir in NRW die Energieeffizienz bei Neubauten und Altbauten im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung. Damit sollen die Mieten auch für einkommensschwache Haushalte bezahlbar bleiben“, führte der NRW-Bauminister aus. Die Landesregierung wolle für die wohnungswirtschaftlichen Akteure verlässliche Förderkonditionen schaffen. „Auch der Bund muss sich endlich zu verlässlichen Zielen und Förderinstrumenten bekennen und klare Ansagen machen, mit welchen Mitteln er welche Maßnahmen fördern will, um die energetische Sanierungsrate zu erhöhen“, forderte Groschek.
Wohnungspolitische Diskussion der Baupolitiker der Parteien
Über die weitere Entwicklung einer konsistenten, langfristigen baupolitischen Perspektive für Nordrhein-Westfalen diskutierten auf dem Architektentag NRW 2012 auch die Fachpolitiker der im Landtag vertretenen Parteien: Jochen Ott von der SPD verwies auf die Problematik, dass die Förderprogramme des Landes aktuell mit den niedrigen Zinsen für Bankkredite konkurrieren müssten. „Wir müssen deshalb neue Wege gehen, um den geförderten Wohnungsbau in NRW anzuregen“, empfahl der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion. So könnten ggf. die Anforderungen an Kreditnehmer zurückgeschraubt werden und gemeinsam mit den Kommunen besondere Flächen für den Sozialwohnungsbau entwickelt werden.
Auch Daniela Schneckenburger hob die Konzentration der Landesregierung in der Wohnungspolitik auf den Bau günstiger Mietwohnungen hervor. „Wir zielen auf eine kleinräumliche Quartiers- und Wohnungsentwicklung.“ Das Ziel eines ausgeglichenen Landeshaushaltes erfordere, die Mittel der Wohnraumförderung zu konzentrieren. Bei der Vergabe von Baugrund müssten Bund, Länder und Kommunen stärker auf eine „soziale Quote“ achten, empfahl die stellvertretende Vorsitzende der GRÜNEN-Landtagsfraktion.
Für die CDU forderte Bernhard Schemmer flexiblere, aber verlässliche Förderinstrumente. Die Angebote der KfW sollten beispielsweise auch Teillösungen baulicher Aufgaben ermöglichen. Der baupolitischer Sprecher der CDU unterstützte die Forderung an den Bund, eine steuerliche Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen umzusetzen. „Bei anderen Steuern gelingt ja auch eine faire Verteilung der Belastungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden“, erinnerte Schemmer.
Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Christof Rasche, appellierte an die Landesregierung und den Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes, in Fragen des baulichen Klimaschutzes mit gutem Beispiel voran zu gehen. „Der BLB NRW darf auch schon mal ein Null-Energie-Haus realisieren, um dem Anspruch der Landesregierung gerecht zu werden!“
Erstmals in der Diskussionsrunde der Baupolitiker der Landtagsfraktionen waren die Piraten vertreten. Ihr baupolitischer Sprecher Oliver Bayer räumte ein, dass die Positionen der Piraten in der Baupolitik noch nicht ausformuliert seien. Gleichwohl plädiere er dafür, Fördermaßnahmen zum baulichen Klimaschutz grundsätzlich am Ergebnis zu orientieren und nicht auf bestimmte Bautechniken auszurichten.
„Raus aus der Nische!“
Viel Beachtung fand der Schlussredner des Architektentags NRW 2012, Dominik Wichmann. Der stellvertretende Chefredakteur des STERN sprach über die Verantwortung der Architekten und Stadtplaner für die gesellschaftliche Entwicklung – und forderte mehr Mut und öffentliches Engagement. „Ihre Arbeit prägt unser Leben jeden Tag, unsere Welt, unsere Erinnerungen“, führte Wichmann aus. Gleichwohl überließen Architektinnen und Architekten die öffentliche Diskussion darüber viel zu sehr Laien unterschiedlichster Provenienz. „Architektur, Stadtplanung und Baugeschichte müssen immer wieder erklärt und vermittelt werden, damit die Menschen moderne Entwicklungen verstehen und gut heißen können“, stellte Dominik Wichmann fest. Auch die Medien würden dieser Aufgabe bei weitem nicht immer gerecht. Die Berichterstattung über das Thema „Stuttgart 21“ sei ein einziges Versagen der Architekturkommunikation gewesen.
Anhand der Stichworte Ökologie, Demografischer Wandel, Globalisierung, Urbanität, Ethik und Öffentlichkeit machte der STERN-Journalist deutlich, dass sich Architekten und Stadtplaner viel stärker öffentlich einbringen und Gehör verschaffen müssten. „Dabei geht es nicht nur um das Bepolstern von Fassaden, das zu kritisieren ist“, spitzte Wichmann seinen Appell zu. Auch ein kritischer Umgang mit der Arbeit von Kollegen, etwa internationaler Stararchitekten, sei notwendig für eine vitalen öffentlichen Architekturdiskurs. „Braucht jedes Dorf ein Signatur-Building? Muss ich alles bauen, was technisch machbar ist? Kaschieren große Volumina nicht oft doch recht kleine Gedanken?“ Solche Fragen gehörten in Zeitungen und Fernsehen. Aber Architekten kämen oft deshalb nicht zu Wort, weil sie sich nicht zu Wort meldeten. Kritische Mahnungen, die bei den Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern im Publikum durchaus auf selbstkritische Zustimmung tragen. Dominik Wichmann schloss seinen viel diskutierten Vortrag denn auch mit der Einladung zum Dialog zwischen Architekten und Journalisten – und mit der Feststellung: „Ein modernes Deutschland braucht Ihren Furor und Ihre Expertise!“
Dokumentation
Film "Impressionen und Eindrücke vom Architektentag NRW 2012"
<link file:17979 _blank download von dominik>Vortrag "Architekturverantwortung" von Dominik Wichmann
Zusammenschnitt: Statements der Sprecher der NRW-Landtagsfraktionen zum Thema Energiewende
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