Baugrund auf Kampfmittel überprüfen
Architektin A wendet sich mit folgender Frage an die Architektenkammer NRW: „Ich bin mit Architektenvertrag mit der Planung und der Errichtung eines Mehrfamilienhauses beauftragt worden. Mein Bauherr hat zuvor eigenständig das Altgebäude für den Neubau abreißen lassen. Nun erfahre ich, dass es Hinweise auf Bombenblindgänger gibt. Muss ich eine Kampfmittelüberprüfung vornehmen, obwohl ein Baugrundgutachten ohne Hinweise auf Kampfmittel vorliegt?“
Ja, Sie müssen nun zeitnah und vor Ausführung des Bauvorhabens den Antrag auf Kampfmittelüberprüfung stellen bzw. den Bauherrn darauf hinweisen, dass ein solcher Antrag auf Luftbildauswertung, der in Nordrhein-Westfalen bei der zuständigen Feuerwehr gestellt wird, erforderlich sein könnte. Ansonsten wäre Ihre Architektenleistung mangelhaft, und Sie riskieren neben einer zivilrechtlichen Haftung möglicherweise auch eine strafrechtliche Verantwortung wegen Baugefährdung.
Zwar hat grundsätzlich der Bauherr, d. h. der Eigentümer als Zustandsstörer gem. § 18 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz NRW (OBG NRW) die Pflicht zur Überprüfung. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass von seinem Grundstück keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Dies ergibt sich auch aus § 13 Satz 2 Bauordnung NRW (BauO NRW), wonach ein Grundstück für bauliche Anlagen geeignet sein muss. Beauftragt der Bauherr jedoch einen Architekten mit der Planung und Durchführung eines Bauvorhabens, kann diese Prüfpflicht auf den Architekten übergehen. Hierzu muss der Architekt nicht ausdrücklich aufgefordert worden sein, wie das Oberlandesgericht Hamm in einer aktuellen Entscheidung annimmt (OLG Hamm, Urteil vom 18.06.2021, Az. 24 U 48/20; vorhergehend LG Münster, Urteil vom 26.02.2020, Az. 116 O 19/19). Das Gericht hat festgestellt, dass es sich bei der Kampfmittelüberprüfung um eine vom Architekten grundsätzlich geschuldete Leistung handelt. Die Klärung der Kampfmittelfreiheit ist nicht die vertraglich vereinbarte Besondere Leistung der „Standortanalyse“, die eine rein betriebswirtschaftliche Aufgabe darstellt. Bei der Frage der Kampfmittelfreiheit geht es gerade um die Frage, ob das bereits ausgewählte Grundstück nach Abklärung der Kampfmittelbelastung bebaubar ist. Dabei handelt es sich um eine Grundleistung der Leistungsphase 2. Unterlässt der Architekt eine Kampfmittelanfrage, ist die Architektenleistung mangelhaft (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Kampfmittelanfrage als Kardinalpflicht der Architekten: Neumann, NZBau 1/2022, 7ff.).
Das Vorliegen eines Baugrundgutachtens ohne Hinweise auf Kampfmittel entbindet Sie nicht von der Verpflichtung, die Frage der Kampfmittelbelastung zu klären. Inhaltlich hat das Gutachten die Zielrichtung, Auskunft über den Baugrund und die Grundwasserverhältnisse zu geben. Es trifft jedoch keine Feststellungen über die Frage der Kampfmittelfreiheit (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung ebenfalls festgestellt, dass die Durchführung von Abbruch- und Erdarbeiten vor Baubeginn ohne Hinweise auf Kampfmittel sowie eine auflagenfreie Baugenehmigung den Architekten nicht entlasten. Auf das Fehlen von Verdachtsflächen im Bebauungsplan kann sich der Architekt ebenfalls nicht verlassen (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, dass eine Mangelhaftigkeit der Architektenleistung und damit eine Haftung des Architekten bereits dann eintreten kann, wenn ein Kampfmittelverdacht besteht. Eine Ausnahme kann möglicherweise nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung dann vorliegen, wenn aufgrund der Lage des Grundstücks eindeutig nicht mit Kampfmittel gerechnet werden musste (vgl. Dr. Zahn, IBR 2022, 2364). Eine Mangelhaftigkeit kann jedenfalls dann vorliegen, wenn der Architekt seinen Bauherrn nicht in dem erforderlichen Umfang zur Abklärung auf Kampfmittel beraten hat. Daher ist aus anwaltlicher Vorsicht anzuraten, im Rahmen der Beratungs- und Aufklärungspflichten seine Auftraggeber umfassend und vor allem frühzeitig, d. h. besser bereits im Rahmen der Leistungsphase 1, Grundleistung c), „Beraten zum gesamten Leistungs- und Untersuchungsbedarf“, zu informieren.
Sollte es zu einer Kampfmittelbeseitigung kommen, ist der Auftraggeber im Rahmen der Kostenkontrolle darauf hinzuweisen, dass allein die Kosten der Kampfmittelbeseitigung als solcher von der örtlichen Ordnungsbehörde getragen werden, jedoch nicht die Begleitkosten, wie beispielsweise Erdarbeiten oder die Schaffung von Zufahrtsmöglichkeiten für Baugeräte. Diese hat der Auftraggeber als Zustandsstörer zu tragen (vgl. Runderlass des Innenministeriums – 75-54.01 vom 09.11.2007, Ziff. 2 Abs. 5).
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