Bestandsschutz – Wer muss was beweisen?

29. September 2014von Dr. Florian Hartmann, Juni 2014

Architekt A stellt der AKNW folgende Rechtsfrage:
„Mein Auftraggeber hat ein über 100 Jahre altes Mehrfamilienhaus erworben. Im Dachgeschoss befindet sich eine so genannte Mansardwohnung, die viele Jahre bewohnt war, nunmehr seit gut zehn Jahren leer steht, und die ich umbauen soll. Bei einer Besprechung mit der Bauaufsichtsbehörde drohte mir diese die Nutzungsuntersagung der Mansardwohnung an, da diese über keine Baugenehmigung verfüge und auch nach dem derzeit bestehenden Bebauungsplan nicht genehmigungsfähig sei. Als ich mich nach der Bauakte des Mehrfamilienhauses erkundigte, antwortete man mir: ‚Unser Bauaktenarchiv ist im 2. Weltkrieg verbrannt. Wir haben keine Unterlagen über das Haus. Ihr Auftraggeber muss uns beweisen, dass die Dachwohnung bewohnt werden darf.‘ - Hat die Bauaufsicht Recht?“


Ja, die Bauaufsicht hat Recht. Der Bauherr muss beweisen, dass die Dachwohnung über eine Baugenehmigung verfügt oder, wenn ihm das nicht gelingt, dass sie zumindest bestandsgeschützt ist. Existieren, wie im vorliegenden Fall, keine Baugenehmigungsunterlagen mehr, kann dem Bauherrn zunächst nur das Berufen auf den Bestandsschutz helfen. Auch hierfür ist er beweisbelastet, weshalb er gut beraten ist – ggf. auch über seinen Architekten – aktiv an der Aufklärung der „genehmigungstechnischen Historie“ mitzuarbeiten.

Grundsätzlich ist eine Nutzung bestandsgeschützt, wenn der vorhandene bauliche Bestand in seiner bisherigen Funktion, Nutzung und baulichen Beschaffenheit zu irgendeinem früheren Zeitpunkt genehmigungsfähig war. Der Bestandsschutz entfällt in zeitlicher Hinsicht allerdings dann, wenn die bestandsgeschützte Nutzung aufgegeben wurde und der vorhandene bauliche Bestand über einen längeren Zeitraum leer stand bzw. leer steht. Das gilt nur dann nicht, wenn im Einzelfall besondere Gründe dargelegt werden können, weshalb die Nutzung, trotz längeren Leerstands, noch nicht endgültig aufgegeben worden ist. Auch hier ist allein der Bauherr in der Verantwortung, derartige besondere Gründe vorzutragen.

Im vorliegenden Fall steht die Wohnung bereits seit zehn Jahren leer, sodass es dem Bauherrn schwer fallen dürfte, die Vermutung der Nutzungsaufgabe zu widerlegen. Dann wird die Mansardwohnung dauerhaft nicht als Wohnung genutzt werden dürfen, was offensichtlich gravierende finanzielle Folgen für den Bauherrn haben kann.
In der Beratungspraxis argumentieren Bauherren in vergleichbaren Fällen gerne damit, dass die Bauaufsicht die illegale Wohnnutzung über Jahre hinweg geduldet habe, weshalb eine Nutzungsuntersagung jetzt „ungerecht“ wäre.  Diesbezüglich ist die Rechtsprechung sehr streng: Die Bauaufsicht muss die illegale Nutzung aktiv geduldet haben; ein bloßes Nichteinschreiten reicht nicht. Eine „aktive Duldung“ ist erst dann anzunehmen, wenn die zuständige Baubehörde in Kenntnis der formellen und gegebenenfalls materiellen Illegalität eines Vorhabens zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer mit dessen Existenz abzufinden gedenkt. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weit reichenden Folgen einer solchen „aktiven Duldung“, bei der die Behörde an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert ist, muss den entsprechenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls über welchen Zeitraum die Duldung des illegalen Zustands erfolgen soll. Im Übrigen spricht Vieles dafür, dass eine länger andauernde Duldung oder Duldungszusage, soll sie Vertrauensschutz vermitteln, schriftlich erfolgen muss.

Praxishinweis
Augen auf beim Bauen im Bestand! Der Architekt bzw. die Architektin muss hier besondere Sorgfalt auf die Klärung der Aufgabenstellung verwenden. Hierzu gehört nicht nur eine bauliche Bestandsaufnahme, sondern eben auch eine planerische Bestandaufnahme. Dabei können unter Umständen schwierige Rechtsfragen auftreten: Was ist überhaupt genehmigt? Wie weit reicht der Bestandsschutz? - Kann der Architekt diese Fragen nicht selbst beantworten, muss er seinem Bauherrn raten, einen Juristen hinzuzuziehen.

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