Besteht ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Kostenermittlung bei Überschreitung eines Kostenrahmens? Gibt es Toleranzen?

18. Juni 2018von Oktober 1996

BGH:
1. Ein Schadensersatzanspruch des Bauherrn wegen Überschreitung eines bestimmten Kostenrahmens setzt voraus, daß ein Kostenrahmen vereinbart wurde. Eine Überschreitung des Kostenrahmens ist nur dann und nur insoweit keine Schlechterfüllung, als sich im Vertrag Anhaltspunkte dafür finden, daß der Architekt einen gewissen Spielraum (Toleranz) haben soll.

2. Der Architekt kann gewisse Toleranzen insoweit in Anspruch nehmen, als die in den Ermittlungen enthaltenen Prognosen von unvermeidbaren Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten abhängen. Ein Schadensersatzanspruch des Bauherrn wegen fehlerhafter Kostenermittlung setzt voraus, daß der Bauherr die Ursächlichkeit der Vertragsverletzung für den Schaden nachweist.  Aus dem Sachverhalt:Der Kläger hat ein kleineres Haus bis zur Oberkante des Kellers abreißen und unter Verwendung dieses Kellers ein erheblich umfangreicheres Wohnhaus errichten lassen. Der Beklagte hat die reinen Baukosten mit etwa 506.000,- DM beziffert. Vor Beginn der Bauarbeiten hat er im März 1991 gegenüber dem Kläger 800.000,- bis 900.000,- DM als voraussichtliche Summe der Baukosten genannt. Nach dem Vortrag des Klägers sollen am Ende Baukosten von mehr als 1,1 Mio. DM angefallen sein. Einen Teil dieser Aufwendungen betrachtet der Kläger als Schaden aus der Überschreitung eines vom beklagten einzuhaltenden Kostenrahmens. Davon macht der Kläger 100.000,- DM geltend.

In den Gründen heißt es u.a.:

Sofern eine bestimmte Bausumme als Kostenrahmen vereinbart ist, hat der Architekt diesen einzuhalten. Wird der Rahmen überschritten, bedeutet das einen Mangel des geschuldeten Architektenwerkes. Ob in diesem Zusammenhang überhaupt eine Toleranz in Betracht kommt und gegebenenfalls in welchem Umfang, richtet sich nach dem Vertrag. Erst wenn sich im Vertrag Anhaltspunkte dafür finden, daß die vereinbarte Bausumme keine strikte Grenze, sondern beispielsweise nur eine Größenordnung oder eine bloße Orientierung sein soll, können Erwägungen zu Toleranzen angestellt werden.

Darüber hinaus muß nicht allein die Bausumme, von der auszugehen ist, festgestellt werden. Auch die am Ende erreichte Bausumme muß ermittelt und um diejenigen Beträge bereinigt werden, welche auf Sonderwünsche, spätere Änderungen durch den Bauherrn und dergleichen zurückzuführen sind.

Weder die Gesamtkosten des Bauvorhabens noch die Gründe für die Kostenentwicklung, noch die danach auf die ursprüngliche Planung des Beklagten sowie auf spätere Hinzufügungen auf Wunsch des Klägers zurückzuführenden Teilbeträge sind im einzelnen geklärt. Die vom Berufungsgericht herangezogenen, allgemein gehaltenen Angaben des Klägers zur Größenordnung seiner Ausgaben genügen nicht. Damit ist auch offengeblieben, in welchem Umfang eine Überschreitung stattgefunden hat.

Ob hiervon abgesehen dem Beklagten eine Pflichtverletzung, etwa durch fehlerhafte Kostenermittlung oder Beratung, unterlaufen ist, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Es ist insbesondere nicht deutlich, ob die Parteien bestimmte projektbegleitende Kostenermittlungen durch den Beklagten vereinbart haben. Hiervon unabhängig war der Beklagte zwar gehalten, den Kläger zu den Kosten und deren Entwicklung ausreichend zu beraten. Die laufende Kostenrolle und entsprechende Beratung des Bauherrn gehört zu den Nebenpflichten eines Architekten. Deren Verletzung kann einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen. Dessen Voraussetzungen sind aber nicht festgestellt.

Für die das Bauvorhaben begleitend Kostenermittlungen kann ein Architekt die vom Berufungsgericht angesprochenen Toleranzen in Anspruch nehmen. Diese reichen jedoch nur so weit, als die in den Ermittlungen erhaltenen Prognosen von unvermeidbaren Unsicherheiten und Unwägbarkeiten abhängen. Dementsprechend darf eine erste Kostenschätzung weniger genau ausfallen als spätere Kostenermittlungen bei fortgeschrittenem Bauvorhaben, ohne gleich eine Pflichtverletzung darzustellen. Welchen Umfang die Toleranzen haben können, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Ob es aber auf diese Fragen überhaupt ankommt, ist bisher nicht erkennbar. Einzelheiten hierzu fehlen im Berufungsurteil.

Eine Pflichtverletzung des Beklagten kann im übrigen nicht in einer gänzlich unterlassenen Angabe der richtigen Kosten gesehen werden. Spätestens Ende März 1991 hat er unstreitig die Größenordnung der Kosten benannt, die realistisch war. Dann kommt als Vorwurf in Betracht, der Beklagte habe seine Vertragspflichten dadurch verletzt, daß er die zu erwartenden Baukosten verspätet ermittelt und mitgeteilt habe. Das ist bisher nicht im einzelnen aufgeklärt. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt beim Kläger.

Das Berufungsgericht hat nicht ausgeführt, welche Anspruchsgrundlage es prüft und annimmt. Es hat ferner nicht geklärt, ob der Kläger überhaupt einen Schaden erlitten hat. Die erforderliche Feststellung von Tatsachen fehlt. Das Berufungsgericht hat nicht nur ungeklärt gelassen, wie viele Baukosten der Kläger aufgewendet hat. Es hat vor allem auch unterlassen, den Wert des Bauobjektes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu ermitteln. Ohne die Gegenüberstellung dieses Wertes und der Aufwendungen läßt sich von vornherein nicht erkennen, ob ein Schaden entstanden ist.

Um die Wertsteigerung des Anwesens durch die Baumaßnahmen offenlegen zu können, hätte außerdem der Wert des von der früheren Bebauung weiter verwendeten Teiles errechnet und vom Gesamtwert des Gebäudes abgezogen werden müssen. Auch daran fehlt es. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Umbau bringe regelmäßig mehr Kosten als Wertsteigerung mit sich, ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Einen Erfahrungssatz diesen Inhalts gibt es nicht. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Bauvorhaben des Klägers tatsächlich nicht um einen Umbau, sondern um einen Neubau unter Verwendung lediglich des Kellers der früheren, schon im Grundriß erheblich kleineren Bebauung. Die dabei erreichte Wertsteigerung läßt sich ohne detailliertes Zahlenwerk und ohne die Unterstützung eines Sachverständigen nicht errechnen.

Das Berufungsgericht hat im übrigen die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Es genügt nicht, daß der Kläger die Möglichkeit eines Schadens andeutet, um es dem Beklagten überlassen zu können, eventuelle Vorteile des Klägers aus dem schädigenden Ereignis nachzuweisen. Vielmehr hat der Kläger erst einmal einen Schaden substantiiert darzutun. Da es offenkundig ist, daß die Baumaßnahme zu einer umfangreichen Wertsteigerung geführt hat, gehört zur Darlegung des Schadens auch, spezifiziert auseinanderzusetzen, daß diese Steigerung hinter den nachweislich aufgewendeten Baukosten zurückbleibt oder wodurch sonst eine Minderung des Vermögens eingetreten sein soll.

Zur Kausalität der angenommenen Pflichtverletzung des Beklagten für den vorausgesetzten Schaden des Klägers erkennt das Berufungsgericht, es spreche einiges dafür, daß Ende März 1991, als der Beklagte das wahre Kostenvolumen mitteilte, der Abriß bereits vorgenommen gewesen sei und daß der Kläger bei der gebotenen Aufklärung seine Umbaupläne geändert und dadurch Kosten erspart hätte. Wenn der Altbau seinerzeit schon weitgehend abgerissen gewesen sei, dann erscheine es zumindest nicht als unverständlich, daß der Kläger auf der Grundlage der geschaffenen Tatsachen versucht habe, so gut wie möglich zurechtzukommen. Der Beklagte habe seine gegenteilige Darstellung nicht bewiesen. Das gehe zu seinen Lasten, will er die fehlende Ursächlichkeit seiner Pflichtverletzung für ds weitere Verhalten des Klägers hätte darlegen und beweisen müssen.

Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

Das Berufungsgericht verkennt, daß nicht der Beklagte eine fehlende Ursächlichkeit, sondern im Gegenteil der Kläger neben der Pflichtwidrigkeit und neben dem Schaden auch die Ursächlichkeit der einen für den anderen darzutun und nachzuweisen hat. Gegenstand des erforderlichen Nachweises ist zwar zum Teil ein hypothetischer Ablauf, nämlich tatsächlich nicht getroffene Entscheidungen des Klägers zur Gestaltung des Bauvorhabens bei früherer Information über die voraussichtlichen Kosten. Tatsächlich nicht geschehene Vorgänge können naturgemäß nicht in derselben Weise bestätigt werden wie ein gegebener Umstand oder eine geschehene Handlung. Das ändert aber nichts daran, daß der Kläger spezifiziert vortragen und den Beweis hierfür erbringen muß. Das Beweismöglichkeiten in diesem Zusammenhang notgedrungen gewissen Einschränkungen unterliegen, ist ein Umstand, den das Berufungsgericht erst zu berücksichtigen hat, wenn es sich seine Überzeugung von der Unrichtigkeit oder Richtigkeit des Sachvortrages bildet.

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Beweiserleichterungen für denjenigen, der einen anderen wegen dessen besonderer Sachkunde um Rat fragt, kann der Kläger nichts für sich herleiten. Diese Rechtsprechung greift auf ein nach der Lebenserfahrung typisches Verhalten zurück. Daran fehlt es hier. Die vom Beklagten geschuldete Aufklärung sollte und konnte nur der Information zu selbständigen Entscheidung des Klägers dienen. Wie sich ein Bauherr, der von seinem Architekten pflichtgemäß über die Höhe der zu erwartenden Baukosten aufgeklärt wird, verhält, entzieht sich jeder typisierenden Betrachtung. Seine Entscheidung hängt so weitgehend von seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen einerseits sowie seinen finanziellen Möglichkeiten und sonstigen Umständen andererseits ab, daß kein Erfahrungsurteil als Grundlage einer Vermutung möglich ist.

Das Berufungsurteil muß danach aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Sofern sich eine Schadensersatzpflicht des Beklagten ergibt, wird das Berufungsgericht auch noch die Frage zu prüfen haben, ob den Kläger ein Mitverschulden trifft.

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