EuGH kippt deutsches Urlaubsrecht
Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit folgendem Fall zu befassen:
Ein Arbeitnehmer war aufgrund einer chronischen Erkrankung seit über 10 Jahren häufig arbeitsunfähig, so dass er über viele Jahre hinweg keinen Urlaub in Anspruch genommen hatte. Nachdem das Arbeitsverhältnis beendet wurde, weigerte sich der Arbeitgeber mit Hinweis auf § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), den in den letzten Jahren nicht genommenen Urlaub finanziell abzugelten, weil der Urlaub spätestens jeweils bis zum 31.03. des Folgejahres hätte genommen werden müssen.
§ 7 BUrlG sieht bisher vor, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch vier Wochen pro Jahr beträgt und grundsätzlich innerhalb desselben Kalenderjahres zu nehmen ist. Eine Übertragung des Urlaubsanspruchs ins Folgejahr sieht das Gesetz nur dann vor, wenn der Urlaub wegen dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht genommen wurde. In diesem Fall tritt allerdings endgültig ein ersatzloser Verfall des übertragenen Urlaubs zum 31. März ein.
Diese durch die deutsche Rechtsprechung über viele Jahrzehnte bestätigte Regelung wurde nun durch den EuGH als Verstoß gegen die Europäische Arbeitsrechtsrichtlinie eingestuft.
Zwar sei es nach der Richtlinie 2003/88/EG nicht ausgeschlossen, dass nationale Regelungen den Verlust des Urlaubsanspruchs nach Ablauf einer entsprechenden Frist vorsähen, Grundvoraussetzung sei allerdings überhaupt die theoretische Möglichkeit des Arbeitnehmers, diesen Urlaub auch nehmen zu können. Genau dies sei vor dem Hintergrund einer längeren Erkrankung jedoch nicht zu bejahen, weshalb der Arbeitnehmer auch noch nach vielen Jahren seinen nicht in Anspruch genommenen Urlaub nehmen dürfe bzw. finanziell abgegolten bekommen müsse. Der EuGH stellte dabei besonders heraus, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers als „besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts“ anzusehen sei.
Da europäische Richtlinien im Rechtsraum der Mitgliedstaaten jedoch nicht sofort unmittelbare Wirkung entfalten, sondern zunächst innerhalb einer Frist umgesetzt werden müssen, ist es allerdings fraglich, ob sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) dieser Rechtsprechung – so wie das Landesarbeitsgericht Düsseldorf – sofort anschließen wird. Dieses hatte im aktuellen Fall die Norm des § 7 BUrlG bereits nach den Vorgaben aus Luxemburg „richtlinienkonform“ ausgelegt und ist somit der Rechtsprechung des EuGH schon jetzt gefolgt.
Sicher ist allerdings, dass sich die Sicht des EuGH, dass der Verfall des Urlaubsanspruchs (bis zur Höhe des Mindestanspruchs von 4 Wochen) auch bei Krankheit des Arbeitnehmers nicht mit Europarecht vereinbar ist, auf Dauer auch in Deutschland durchsetzen wird. Denn vor dem Hintergrund der Auslegung der Arbeitsrechtsrichtlinie durch die europäischen Richter wird in Deutschland in absehbarer Zeit eine entsprechende Änderung des Bundesurlaubsgesetzes erfolgen.
Praxishinweis
Die strengen Vorschriften des BUrlG bezüglich des Urlaubsverfalls werden auf Dauer in dieser Form nicht weiter praktiziert werden. Eine baldige Gesetzesänderung ist zu erwarten. Experten weisen darauf hin, dass diese vordergründig für Arbeitnehmer positive Entscheidung im Ergebnis auch negative Folgen haben könnte: War bisher eine personenbedingte Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung in der Regel ausgeschlossen, weil der Arbeitgeber keine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nachweisen konnte, so kann nun unter Umständen die wirtschaftliche Belastung durch den anwachsenden Urlaubsanspruch als Kündigungsgrund in Betracht kommen.
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