Ganz oder gar nicht!
Architektin A wendet sich mit folgender Frage an die Rechtsberatung der Architektenkammer NRW:
"Ich war in einem Bauvorhaben mit den Leistungsphasen 1 bis 4 beauftragt und habe meine Leistungen auch bereits vertragsgemäß erbracht. Alles Weitere wollte mein damaliger Bauherr in Eigenregie erledigen. Derzeit befindet sich das Vorhaben in der Bauausführung. Da die Baustelle in der Nähe meines Büros liegt, bin ich in letzter Zeit hin und wieder zur Baustelle gefahren, um mir die Arbeitsfortschritte anzuse-hen. Natürlich habe ich, wenn gerade "Not am Mann" war, auch Fragen meines ehemaligen Bauherrn beantwortet oder Handwerkern Hinweise gegeben, wenn mir etwas aufgefallen war. Ich hatte darin zunächst einmal kein Problem gesehen. Als ich meiner Bürokollegin davon erzählte, meinte diese aber, dass ich mit so etwas besser vorsichtig sein solle, da ich sonst möglicherweise "in die Haftungsfalle" geraten könnte. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, da ich schließlich keinen Vertrag mehr mit meinem ehemaligen Bauherrn habe. Ich denke, meine Kollegin übertreibt. Oder?"
Nein, Ihre Kollegin übertreibt nicht! Selbst wenn ein Architekt mit der Objektüberwachung nicht beauftragt ist, besteht die Gefahr, dass er sich wegen Verletzung einer sich aus dem Planungsvertrag ergebenden Nebenpflicht seinem Bauherrn gegenüber schadensersatzpflichtig macht. Dies könnte, wie das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 20.08.2001 ausführte, dann der Fall sein, wenn der Architekt sich in die Rolle des sogenannten „faktischen Bauüberwachers“ begibt, indem er sich „in erheblichem Umfang um die Durchführung der Baumaßnahmen kümmert, dem Auftraggeber auf Befragen Ratschläge erteilt oder in ähnlicher Weise aktiv in die Bauausführung eingreift“ (OLD Düsseldorf, Az. 23 U 191/00, m.w.N.).
Führt der Architekt „faktisch“ eine Bauüberwachung durch, treffen ihn auch Beratungs- und Hinweispflichten gegenüber seinem Bauherrn. Obschon der Architekt nicht für Mängel einzustehen hat, „die er bloß hätte erkennen können“, so müsste er seinen Bauherrn auf die von ihm erkannten, insbesondere gravierenden Ausführungsfehler hinweisen. (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 15. Auflage 2015, Rn. 2029 m.w.N.) Tut er dies nicht, könnte sich der Architekt folglich schadensersatzpflichtig machen.
Das OLG Düsseldorf hatte in seiner Entscheidung weiter ausgeführt, die Haftung wegen faktischer Bauüberwachung erfordere außerdem, dass bei dem Auftraggeber ein entsprechender Vertrauenstatbestand erweckt worden sei. Dafür kommt es auf eine Betrachtung aller Umstände im jeweiligen Einzelfall an. Ein Beispiel könnte sein, umfangreiche Zusagen gegenüber dem Bauherrn zu machen und diese auch einzuhalten (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19.06.2001, Az. 16 U 260/00). Nicht relevant für die Frage der faktischen Übernahme der Bauüberwachung ist es nach dem OLG Düsseldorf jedenfalls, wie sich der Aufenthalt eines Architekten auf der Baustelle während der Bauausführungsphase gegenüber Dritten darstellt.
Praxistipp:
Die Voraussetzungen für die Annahme einer „faktischen Bauüberwachung“ zeigen, dass auch der Architekt, der mit der Bauüberwachung nicht beauftragt worden war (und folglich nicht einmal einen Honoraranspruch hat) sich wegen Verletzung von Beratungs- und Hinweispflichten gegenüber seinem Bauherrn schadensersatzpflichtig machen kann. Dem Architekten ist daher dringend zu raten, sich ohne ausdrücklichen - im Idealfall natürlich schriftlichen – Auftrag über die Durchführung der Leistungsphase 8 „bedeckt zu halten“. Die Devise sollte lauten: ganz oder gar nicht! - Diese Konstellationen verdeutlichen einmal mehr, wie elementar die ausreichende Berufshaftpflichtversicherung für den Architekten ist.
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