Keine Bestandsaufnahme bei altem Bestandsplan?
Architekt A wendet sich mit folgender Frage an die Architektenkammer NRW: „Ich bin mit der Planung und Überwachung von Baumaßnahmen im Bestand beauftragt worden. Ein umfassendes, neues Aufmaß des Bestandes will der Bauherr nicht in Auftrag geben, weil er der Meinung ist, die alten Bestandsunterlagen seien völlig ausreichend. Ich habe allerdings Bedenken dagegen, mich auf diese Unterlagen zu verlassen, denn zum einen müssen die damaligen Pläne nicht korrekt bzw. vollständig umgesetzt worden sein, zum anderen könnten sie auch durch spätere Änderungen überholt oder jedenfalls nicht mehr maßhaltig sein. Darf ich mich mit einer bloßen Plausibilitätsprüfung zufrieden geben, oder muss ich den Bauherrn vor die Wahl stellen, entweder ein vollständiges neues Aufmaß zu beauftragen oder anderenfalls mich insoweit von der Haftung freizustellen?“
Die Bestandsaufnahme ist keine Grundleistung, sondern eine besondere Leistung in der Leistungsphase 1 (nach Anlage 10 zu §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 6 HOAI) und damit ggf. gesondert vergütungspflichtig. Ob sie geboten ist und angeraten werden sollte, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
Generell ist der Architekt gehalten, Unterlagen, die ihm vom Bauherrn zur Verfügung gestellt werden, nicht ungefragt zu übernehmen, sondern auf ihre Vollständigkeit, Plausibilität und grundsätzliche Brauchbarkeit hin zu überprüfen. Stellt der Architekt Lücken oder Mängel fest, muss er den Bauherrn hierauf hinweisen und auf Vervollständigung bzw. Korrektur drängen (vgl. OLG Düsseldorf BauR 1990, 536, 537; BauR 2000, 131). Bezogen auf Bestandspläne bedeutet dies, dass hier insbesondere dann Vorsicht angebracht ist, wenn sich die Pläne aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten als unplausibel erweisen oder so alt sind, dass erheblich veränderte Bedingungen vor Ort zu erwarten sind. So hat das OLG Hamburg die unhinterfragte Verwendung von 100 Jahre alten Bestandsplänen durch einen Bauunternehmer als sorgfaltspflichtwidrig angesehen (IBR 2009, 264). Eine allgemeingültige Grenze für das hinnehmbare Alter solcher Pläne kann aus dieser Entscheidung allerdings nicht hergeleitet werden.
Praxistipp:
Hat der Architekt begründete Zweifel daran, ob die Bestandspläne von den tatsächlichen Gegebenheiten in erheblichem Maß und/oder an bedeutenden Stellen abweichen oder sind die Pläne sehr alt, so sollte er den Bauherrn beweissicher schriftlich darauf hinweisen und die Beauftragung einer neuen Bestandsaufnahme anregen. Zugleich sollte er darauf hinweisen, anderenfalls für Mängel, die sich aus der Zugrundelegung der alten Pläne ergeben, keine Haftung zu übernehmen.
Teilen via