Licht am Horizont für Aufstockungsklagen

Architektin A wendet sich an die Architektenkammer NRW mit der folgenden Frage: "Im Jahre 2016 habe ich mit einer Investmentfirma anlässlich der Errichtung eines großen Logistikzentrums einen Architektenvertrag über die LPH 1-8 abgeschlossen. Der Vertrag sieht ein Pauschalhonorar unterhalb des in der HOAI vorgesehenen Mindestsatzes vor. Das Projekt wurde Anfang 2019 beendet. Im März 2019 habe ich Schlussrechnung gelegt – in Höhe des Mindestsatzes. Die Rechnung wurde nur in Höhe des Pauschalhonorars beglichen. Ich würde gerne wissen, ob es jetzt noch möglich wäre, im Rahmen einer Aufstockungsklage den Differenzbetrag zwischen dem vereinbarten Honorar und dem damals geltenden Mindestsatz gerichtlich geltend zu machen?”

03. Februar 2022von Dr. Volker Steves

Zum jetzigen Zeitpunkt kann die Frage (noch) nicht zuverlässig beantwortet werden, jedoch besteht die Hoffnung, dass dies für Verträge, die vor Inkrafttreten der neuen HOAI - also dem 1. Januar 2021 - abgeschlossen worden sind, möglich sein wird.

Anlass zur Hoffnung gibt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 18. Januar 2022, welcher im Rahmen eines vom Bundesgerichtshof beantragten Vorabentscheidungsverfahrens über die Frage zu entscheiden hatte, ob die in der Entscheidung vom 4.07.2019 (C-377/17) festgestellte Europarechtswidrigkeit der in der damaligen HOAI vorgesehenen verbindlichen Mindest- und Höchstsätze einer erfolgreichen Aufstockungsklage im Wege steht.

Der Bundesgerichtshof hatte dem EuGH diese Frage vorgelegt, nachdem diese von angerufenen deutschen Gerichten unterschiedlich beurteilt worden war, was dazu geführt hatte, dass die Erfolgsaussicht einer Aufstockungsklage davon abhing, bei welchem Gericht die Klage anhängig war. Während z.B. das OLG Celle Aufstockungsklage unter Hinweis auf die Europarechtswidrigkeit des verbindlichen Preisregimes abwies, waren Klagen vor dem OLG Hamm regelmäßig erfolgreich. Solange keine neue, an das Europarecht angepasste HOAI in Kraft sei, gelte - so das OLG Hamm - die “alte” HOAI weiter - und zwar einschließlich der Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze.

Der EuGH hat nunmehr in seiner Entscheidung vom 18.01.2022 (C-261/20) geurteilt, dass sich die Frage der Anwendbarkeit der „alten“ HOAI inkl. des verbindlichen Preisregimes ausschließlich nach deutschem und nicht auch nach europäischem Recht bemisst, sofern der Sachverhalt keinerlei grenzüberschreitenden Bezug aufweist.

Dem üblichen Prozedere bei einem Vorabentscheidungsverfahren entsprechend, liegt der Ball nunmehr wieder beim nationalen Gericht - hier konkret dem BGH -, welches aufgerufen ist, unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH eine Entscheidung zu treffen und dabei das nationale Recht so weit als irgend möglich europarechtskonform auszulegen.

Praxistipp
Da der BGH in seinen bisherigen Ausführungen zu erkennen gegeben hat, dass er selbst bei europarechtsfreundlicher Auslegung kaum eine Möglichkeit sieht, die gesetzliche Vorgabe des Mindestsatzes, solange dieser geltendes Recht war, unangewendet zu lassen, besteht die begründete Hoffnung, dass er die “alte” HOAI zumindest für Verträge, welche vor dem 4.07.2019 zwischen Privaten abgeschlossen worden sind, für anwendbar erklärt. Der Weg zur einer erfolgreichen Aufstockungsklage stünde dann in diesen Fällen offen. Planerinnen und Planer sind daher gut beraten, die Rechtsprechung des BGH zu verfolgen und im Falle der “erhofften” Entscheidung die entsprechenden Schritte einzuleiten.

Für den Fall, dass der BGH in diesem Jahr keine Entscheidung mehr trifft und der Zahlungsanspruch mit Ablauf des Jahres 2022 zu verjähren droht, sollten auch - in der Hoffnung auf ein “positives” Urteil - verjährungshemmende Maßnahmen erwogen werden.

Abzuwarten bleibt auch, ob der BGH die Gelegenheit nutzt, die Frage zu klären, ob die „alte“ HOAI auch auf Verträge Anwendung findet, welche mit öffentlichen Auftraggebern und/oder nach dem 04.07.2019 abgeschlossen worden sind. Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt ein Sachverhalt mit einem privaten Auftraggeber und Vertragsschluss vor Entscheidung des EuGH am 4.07.2019 zugrunde.

 

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