Qualifizierte Standsicherheitsnachweise

Architekt A wendet sich mit folgender Frage an die Rechtsberatung der Architektenkammer NRW: „Ich habe für meinen Bauherrn, der Eigentümer eines Grundstücks in NRW ist, eine Stellungnahme als Tragwerksplaner für eine aus Beton gefertigte Terrasse auf einem über hundert Jahre alten Kellergewölbe aus Mauerwerk und Stahlträgern abgegeben. Bei dem Gewölbe stehen Mauerwerksfugen offen, es ist auch mit Wurzelwerk durchzogen. Ziegelsteine sind ausgebrochen und Stahlträger korrodiert. Die Behörde ist der Auffassung, dass das Gewölbe nicht mehr für die Belastung mit der Betonplatte ausgelegt sei und zusammenbrechen könnte. Sie hat gegen den Bauherrn eine Ordnungsverfügung erlassen und verlangt von ihm sogar einen Standsicherheitsnachweis eines staatlich anerkannten Sachverständigen für Tragwerksplanung. Ich verfüge über eine langjährige Erfahrung als Tragwerksplaner, bin jedoch nicht in die Liste der qualifizierten Tragwerksplaner bei der Architektenkammer NRW eingetragen. Ist die Ordnungsverfügung der Behörde zu Recht ergangen?“

23. Mai 2022von Dorothee Dieudonné

In seinem Beschluss vom 15.11.2021 (AZ: 2 B 941/21) hat das OVG NRW festgestellt, dass konkrete Zweifel an der Standsicherheit eine hinreichende Grundlage dafür bieten, vom Verantwortlichen die Vorlage eines Standsicherheitsnachweise durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen zu fordern. Ferner hat das OVG klargestellt, dass die Standsicherheit nicht durch ein Ingenieurbüro für Tragwerksplanung und Architektur nachgewiesen wird. Erforderlich ist ein von einem „qualifizierten Tragwerksplaner“ erstellter Standsicherheitsnachweis.

Seit Inkrafttreten der neuen Bauordnung NRW am 1. Januar 2019 dürfen Standsicherheitsnachweise für bauliche Anlagen nur noch von Personen aufgestellt werden, die über einen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss eines Studiums der Fachrichtung Architektur, Hochbau oder des Bauingenieurwesens sowie über eine mindestens dreijährige Berufserfahrung in der Tragwerksplanung verfügen, Mitglied einer Ingenieur- oder Architektenkammer und in die von der jeweiligen Kammer geführte Liste der qualifizierten Tragwerksplanerinnen und Tragwerksplaner eingetragen sind (§ 54 Abs. 4 BauO NRW).

Infolge der zum 2. Juli 2021 in Kraft getretenen Novellierung der BauO NRW gilt nach § 54 Abs. 4 S. 2 im Sinne einer Klausel zur Besitzstandswahrung ergänzend, dass sich in die Liste bis zum 30. Juni 2022 auch Kammermitglieder eintragen lassen können, die zwar nicht über einen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss im vorgenannten Sinne verfügen, die aber während eines Zeitraumes von fünf Jahren vor Inkrafttreten der neuen BauO – also zwischen 2014 und 2018 – regelmäßig Standsicherheitsnachweise für bauliche Anlagen aufgestellt haben und dies sowie die erforderliche Sachkunde im Eintragungsverfahren gegenüber ihrer Kammer nachweisen.

Der Antrag auf Eintragung in die Liste der qualifizierten Tragwerksplaner bei der Architektenkammer NRW ist schriftlich zu stellen; nähere Informationen zu dem Verfahren auf Eintragung und den einzureichenden Nachweisen
finden Sie im Praxishinweis PH58 Qualifizierte Tragwerksplaner.

Unabhängig von Ihren fachlichen Kenntnissen sind Sie, wie Sie schildern, bislang nicht in die Liste der qualifizierten Tragwerksplaner der Architektenkammer NRW eingetragen und haben bislang Ihre Kenntnisse nicht gegenüber der Architektenkammer NRW im Rahmen eines Eintragungsverfahrens nachgewiesen. Daher waren Sie bauordnungsrechtlich nicht berechtigt, eine derartige Stellungnahme bzw. einen bauordnungsrechtlichen Nachweis zu erbringen.

Wenn objektive Anhaltspunkte Zweifel an der Standsicherheit begründen, ist die Bauaufsichtsbehörde berechtigt, Maßnahmen mit dem Ziel eines Nachweises zu erlassen, dass die Standsicherheit noch gegeben ist. In einem derartigen Fall darf die Bauaufsicht nach Auffassung des OVG Münster sogar vom Verantwortlichen die Vorlage eines Standsicherheitsnachweises durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen für Tragwerksplanung verlangen.

Demnach ist die Ordnungsverfügung gegen den verantwortlichen Eigentümer nicht zu beanstanden.

Praxistipp

Das OVG Münster hat in seinem Beschluss klargestellt, dass die Bauaufsicht zur Aufklärung einer möglichen Gefahr für Leib und Leben Nachweise von besonders qualifizierten Personen verlangen darf. Die Behörde muss die Nachweise weniger qualifizierter Personen nicht akzeptieren.

Das Aufstellen von Nachweisen der Standsicherheit ohne die entsprechende Qualifikation kann auch berufsrechtlich relevant sein. In seiner Entscheidung vom 08.04.2021 (AZ: 32K 7389/20.S) hat das Berufsgericht für Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen und Stadtplaner beim Verwaltungsgericht Düsseldorf gegen ein Kammermitglied wegen Verletzung beruflicher Pflichten nach § 22 Abs. 1 BauKaG NRW (a.F.) i.V.m. § 54 Abs. 4 BauO NRW einen Verweis erteilt und eine Geldbuße auferlegt. Das Mitglied hatte einen Standsicherheitsnachweis erstellt und bei der Bauaufsicht vorgelegt, obwohl es nicht in die von der Architektenkammer NRW geführte Liste qualifizierter Tragwerksplaner eingetragen war.

Teilen via