Als Architekt in Istanbul: Schwerpunkt auf dem Entwurf
In unserer Serie „NRW-Architekten im Ausland“ interviewt Frank Maier-Solgk diesmal Bugrahan Sirin. Er leitet das Büro von HPP in Istanbul und schildert hier, worin die Unterschiede in der Arbeit eines Architekten in Deutschland und in der Türkei bestehen.
Herr Sirin, wie wird man Büroleiter eines großen deutschen Architekturbüros in Istanbul?
Sirin: Ich bin in Istanbul geboren, habe hier auch studiert, bin aber im Anschluss an das Studium zunächst zwei Jahre in Russland als Architekt tätig gewesen. Danach war ich ein Jahr in den Niederlanden bei Erik van Egeraat und habe dann sechs Jahre bei HPP in Deutschland gearbeitet. Ich habe also einige Jahre internationale Erfahrungen sammeln können. Als HPP im Juli 2012 ein Büro in Istanbul eröffnete, hat man meine Kollegin Nurguel Ece und mich zu Büroleitern ernannt.
Knapp zusammengefasst: Worin besteht der größte Unterschied in der Arbeit als Architekt in Deutschland und in der Türkei?
Es gibt viele Unterschiede; der größte betrifft aber wohl das Aufgabenfeld eines Architekten. In Deutschland ist die Tätigkeit der Architektinnen und Architekten weit umfassender, sie schließt die Planung und die Durchführung ein, während sie in der Türkei stärker auf die reinen Entwurfsphasen beschränkt ist. Man ist dort eher Designer denn Manager des Baus. Die Bauausführung wird in der Türkei meist von Generalunternehmen durchgeführt. Mit diesem reduzierteren Aufgabenbereich von Architekten hängt dann auch zusammen, dass man als Architekt in der Türkei auch weniger verdient – ich würde sagen rund 30 Prozent. Die meisten Architekten schließen übrigens für ihre Projekte nicht wie in Deutschland Versicherungen ab. Dies tun stattdessen meist die Baufirmen.
Istanbul, eine 14-Millionen-Metropole, gilt heute als Boom-Town, als das Shanghai des Westens. Wird hier im Moment wirklich so viel gebaut?
Ich weiß nicht, ob Boom-Town ganz der richtige Ausdruck für die Situation ist. Es wird sicherlich viel gebaut, zum Beispiel derzeit zwei neue Finanz- bzw. Geschäftsviertel, von denen eines privat finanziert und entwickelt wird, das andere auf der asiatischen Seite maßgeblich vom Staat gebaut wird. Auch wir von HPP errichten derzeit einen Hochhausbau in der Nähe dieses Viertels. Allerdings sind viele Bauvorhaben der letzten Jahre in der Stadt auf die Infrastruktur und deren Verbesserung gerichtet gewesen. Etliches davon war vorher nicht vorhanden. So wurden vor allem neue Straßen, Brücken, eine neue U-Bahn und auch Schulen gebaut. In gewisser Weise hat sich Istanbul erst in den letzten Jahren zu einer „normalen“ Metropole im modernen Sinn entwickelt.
Wie sieht es mit Baugesetzen und Vorschriften aus – sind die vergleichbar mit denen in Deutschland?
Es gibt Baugesetze und Vorschriften in der Türkei, die an den EU-Normen orientiert sind. Aber im Unterschied zu Deutschland werden sie nicht immer zu 100 Prozent erfüllt. Es gibt einen größeren Bereich der Grauzone, um es so zu formulieren. Die Vorschriften sind im Übrigen weit weniger detailliert als in Deutschland. Sämtliche Bauvorschriften für die Region Istanbul sind in einem schmalen Büchlein von 50 Seiten zusammengefasst. Wichtig ist außerdem, dass die Bauvorschriften zum Beispiel zum Wärmeschutz nicht in die Verantwortung von Architekten fallen, sondern in die der Ingenieurbetriebe.
Im vergangenen Jahr haben die Unruhen auf dem Istanbuler Taksim-Platz für großes internationales Aufsehen gesorgt. Waren die Ursachen dafür nicht auch Debatten über Bauvor-haben und Architektur?
Das stimmt. Der Ursprung der Unruhen war der Protest vor allem junger Leute gegen die Planung einer großen Shopping-Mall, die einen Teil des Taksim-Platzes einnehmen sollte. Der Platz wurde von den Menschen als Grünanlage und Park sehr geschätzt. Ursprünglich sollte hier sogar einmal eine Moschee gebaut werden, davon ist man aber wieder abgekommen. Es war vielleicht ein wenig wie im Fall von Stuttgart 21, wenngleich das Ausmaß an Gewalt sicher nicht vergleichbar war.
Apropos Moschee: Gelegentlich finden in Deutschland Debatten darüber statt, wie Moscheen gebaut werden sollten – modern oder traditionell in einem ornamentalen Stil. Wie ist die Auffassung hierzu in der Türkei?
Das dürfte vielleicht ähnlich sein wie hier in Deutschland. Intellektuelle und Architekten plädieren für einen modernen, zeitgenössischen Baustil. Die konservativen Teile der Bevölkerung hingegen bevorzugen eine Moschee im ‚guten alten‘ ottomanischen Stil mit viel traditioneller Ornamentik. Vielleicht ist es das Beste, einen mittleren Weg zu wählen.
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