Ermöglicht § 2 Abs. 6 der neuen BauO NRW das freie Stapeln von Nicht-Vollgeschossen?

24. Oktober 2018von Dr. Florian Hartmann / Benjamin Feldheim, Oktober 2018

Architekt A schildert der Rechtsberatung der Architektenkammer NRW folgenden Fall:
„Ich habe ein Hausgrundstück geerbt. Das Grundstück liegt in einem Bebauungsplangebiet und ist mit einem eingeschossigen Bungalow bebaut. Der Bebauungsplan stammt aus dem Jahre 1985 und trifft u.a. die Festsetzung, dass zwingend ein Vollgeschoss zu errichten sei. Eine (zwingende) Höhenfestsetzung trifft der Bebauungsplan nicht. Mit Begeisterung habe ich von der Neuregelung des Geschossbegriffes in § 2 Abs. 6 BauO NRW 2018 gehört. So wie ich die Neuregelung verstehe, kann ich auf meinem Bungalow nunmehr - ein entsprechendes Tragwerk vorausgesetzt - beliebig viele ‚Nicht-Vollgeschosse‘ stapeln? Ist das richtig?“


Nein! Sie können lediglich ein Staffelgeschoss nach den Maßgaben von § 2 Abs. 5 BauO NRW 1984 errichten. Zwar führt die BauO NRW 2018 einen neuen Geschossbegriff ein. Dieser Geschossbegriff lässt sich jedoch, wie das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG NRW, Beschl. v. 03.05.2018, Az.: 10 A 2937/15) erst kürzlich entschieden hat, nicht auf alte Bebauungspläne übertragen.

In § 2 Abs. 6 BauO NRW 2018 ist wörtlich bestimmt: „Vollgeschosse sind oberirdische Geschosse, die eine lichte Höhe von mindestens 2,30 m haben. Ein Geschoss ist nur dann ein Vollgeschoss, wenn es die in Satz 1 genannte Höhe über mehr als drei Viertel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses hat.“

Im Vergleich zur Regelung des § 2 Abs. 5 BauO 2000 fällt auf: Den Begriff des „Staffelgeschosses“ gibt es nicht mehr. An die Stelle des Staffelgeschosses ist das „Nicht-Vollgeschoss“ getreten. Es unterscheidet sich vom Staffelgeschoss insbesondere dadurch, dass es nicht allseitig zurückspringen muss, drei Viertel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses umfassen darf (früher: zwei Drittel) und – und darauf kommt es Architekt A hier an – nicht auf das oberste Geschoss beschränkt ist. Das bedeutet: Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 BauO 2018 darf A so viele „Nicht-Vollgeschosse“ übereinander stapeln, wie er möchte. Das hat der Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren auch den Vorwurf eingetragen, sie ermögliche im Extremfall einen „Turmbau zu Babel“.

Allerdings haben die Münsteraner Richter entschieden: Enthält ein Bebauungsplan Festsetzungen zur Geschossigkeit, beziehen sich diese Festsetzungen grundsätzlich auf die Landesbauordnung, die zu der Zeit galt, als der Satzungsbeschluss getroffen wurde. Die Festsetzungen des Bebauungsplans verweisen also „statisch“ in das seinerzeit geltende Bauordnungsrecht und entwickeln sich nicht „dynamisch“ mit dem jeweils geltenden Bauordnungsrecht fort.

Eine Ausnahme von dieser Regel ist nur dann denkbar, wenn die planende Gemeinde in den Planunterlagen einen dynamischen Verweis aufkommende Bauordnungen vorgesehen hatte. Das wird nur sehr selten vorkommen. Deshalb darf A im vorliegenden Fall nur ein Staffelgeschoss nach den Vorgaben des § 2 Abs. 5 BauO NRW 1984 errichten. Diese Vorschrift lautet wörtlich: „Ein gegenüber den Außenwänden des Geschosses zurückgesetztes oberstes Geschoss (Staffelgeschoss) ist nur dann ein Vollgeschoss, wenn es diese Höhe über mehr als zwei Drittel der Grundfläche des darunterliegenden Geschosses hat.“

Praxishinweis

Die Neuregelung des § 2 Abs. 6 BauO NRW ist nicht nur für Architektinnen und Architekten, sondern auch für Stadtplanerinnen und Stadtplaner von Bedeutung. Wie gezeigt, ist ein „Turmbau zu Babel“, also das beliebige Stapeln von Nicht-Vollgeschossen, in Bestandsbebauungsplänen ausgeschlossen.
Babylonische Turmgebilde sollten auch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB ausgeschlossen sein: Welcher Bauherr würde die sich aus der näheren Umgebung abgeleitete Höhe mit „Nicht-Vollgeschossen“ nach § 2 Abs. 6 BauO NRW 2018 füllen, wenn ihm der gegebene Rahmen auch die Errichtung von Vollgeschossen erlaubt?

Relevant werden könnte der „Turmbau zu Babel“ allerdings in neuen Bebauungsplänen. Stadtplanerinnen und Stadtplaner können ein unerwünschtes Stapeln jedoch dadurch verhindern, dass sie die Gebäudehöhen als zwingend festsetzen.

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